Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Conrad Schnitzler: Sauerkraut nicht Amaranth

Von Onkel Rosebud

Wenn Musik zirpt, blubbert und tiriliert, wenn sie zwitschert, ziept und quiekt, wummert und stampft, dann ist das heute ohne das Vermächtnis des Conrad Schnitzler in Betracht zu ziehen nicht vorstellbar. Denn bis heute wird Schnitzler (geboren am 17. März 1937 in Düsseldorf, gestorben am 4. August 2011 in Berlin an den Folgen einer Magenkrebserkrankung) weltweit als ein Vorreiter der elektronischen Musik verehrt, obwohl er selbst gar keine Musik machen wollte und die kommerzielle Vermarktung seiner Arbeiten strikt ablehnte. Der gelernte Maschinenbauer und Schüler von Joseph Beuys gründete 1969 die Band Kluster, die mit ihm zwei Jahre existierte, und war 1970 Mitglied der zweiten Formation von Tangerine Dream. Er besorgte Kraftwerk den ersten Synthesizer, einen tragbaren Synthi-A der Firma EMS, bekannter unter dem Namen VCS 3.

Inspiriert von John Cage, Karlheinz Stockhausen und Krzysztof Penderecki gründete Schnitzler 1968 mit dem „Zodiak“ den ersten Undergroundclub Westberlins. Er gilt als die Geburtsstätte des Krautrocks. Es fanden Happenings, Freejazz-Konzerte und fluxusinspirierte Aktionen statt. Entgegen der zeittypischen Raumgestaltung mit Ornamenten und bunten Batiken strich Conrad Schnitzler einen Raum weiß, den anderen schwarz: Bauhaus statt Flower-Power. Conrad Schnitzler war definitiv ein Anti-Hippie.

In der alten BRD wurde Krautrock als selbstironische Bezeichnung für die eigene Musik verwendet, um damit auszudrücken, dass man sich für ein popkulturelles Entwicklungsland hielt. Der eher abwertende Begriff geht auf das Wort „Sauerkraut“ und die Bezeichnung „Krauts“ für die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg zurück. Rückblickend kommt dem Krautrock eine große pop-historische Bedeutung zu, auch wenn dies seinerzeit weder beabsichtigt noch absehbar gewesen ist. Metal, Hip Hop, Techno und Indierock sind undenkbar ohne dessen Einflüsse. Und erst recht nicht ohne Conrad Schnitzler.

Anfang der 80er tat er sich mit Wolfgang Seidel zusammen, einem Gründungsmitglied der Band Ton Steine Scherben. Danach agierte er überwiegend als Solokünstler, als Musiker und Komponist für hauptsächlich elektronische Musik und machte Videoinstallationen. Von den frühen Cluster-Zeiten gibt es keine Fotos, keine Zeitungsausschnitte, keine Poster, keine Eintrittskarten. Nur zwei Schallplatten: „Klopfzeichen“ und „Kluster Zwei Osterei“.

Von damals ist von Conrad Schnitzler folgendes Zitat überliefert: „Wenn ich die Hand aufmache und da ist nichts drin, dann ist das schon Intermedia. Die Luft, die ich atme, ist schon ein Ereignis, und die Töne, die ich mache, lösen sich in Luft auf.“ Das nenne ich Selbstbewusstsein.

Onkel Rosebud

P.S.1: Der Titel der Kolumne ist eine Anspielung auf den Namen des Samplers „Sauerkraut Nicht Sushi (Let’s Forget All About This…)“, der auf dem Label L’Age D’Or 1999 erschienen ist.

P.S.2: Anspieltipp für His Schnitzleress ist der Song „Elektroklang“ aus dem Album „Auf Dem Schwarzen Kanal“ von 1980, der auch 2023 auf dem ziemlich duften Sampler „Silberland – Vol. 2 – The Driving Side Of Kosmische Musik 1974-1984“ (vom Label Bureau B aus Hamburg) wiederveröffentlicht wurde. Auch der Vorgänger „Silberland – Vol. 1 – The Psychedelic Side Of Kosmische Musik 1972-1986“ sei hiermit in eine kratzende Wolldecke voller Empfehlung eingewickelt. Dass es damals in dem Zodiak-Umfeld Bands mit Namen „Populäre Mechanik“ oder „Deutsche Wertarbeit“, die Songs mit Titeln wie „Strahlsund“, „Bockwurst À La Maîtresse“ oder „Bis die Blaue Blume blüht“ elaborierten, ist an Bereicherung nicht zu überbieten.