Filter – The Algorithm – Golden Robot Records 2023

Von Matthias Bosenick (10.01.2024)

30 Jahre Filter! Und weil sich manche Genres irgendwann aufbrauchen und gestrig wirken, biegt Richard Patrick, Bruder des Terminator-Darstellers Robert Patrick, seinen Neunziger-Industrial-Metal US-amerikanischer Art vom Elektronischen mehr in Richtung Metal, behält aber den Pop im Ohr. Man hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass der einstige Gitarrist von Nine Inch Nails sein Projekt nach sieben Jahren vermeintlicher Pause überhaupt reaktivieren würde, da erscheint das achte Album „The Algorithm“, an dem auch Filter-Mitgründer Brian Liesegang nach 25 Jahren wieder mitwirkte. Es hat einige Härten, unerwartete Effekte und anhaltende Hymnen – und wirkt trotz des Schubs in Richtung härterer Rockband etwas veraltet und reichlich auf Breitenwirksamkeit getrimmt.

Auch mit den verstreuten Groovemetal- und Gitarren-Kreisch-Attacken in den Songs lässt sich nicht verhehlen, dass es Patrick um Eingängigkeit geht. „The Algorithm“ bietet Popmusik im Gitarrengewand, mit klassischer Strophe-Refrain-Strophe-Struktur, sich einprägsam wiederholenden Gesangsmelodien, Mitklatschstellen, hymnischen Momenten, die von kontrastreich brutalen Stellen begleitet, unterbrochen, umrahmt sind. Das ist heavy Rock’n’Roll mit Electrosprengseln, der Formatradiohörer einerseits bedient und andererseits abschreckt. Und damit die Metal-Hörer ebenfalls, nur andersherum.

Das Album wirkt zu kalkuliert, mehr angepasst als angepisst, und wenn Patrick in „Face Down“ den Glamrock-Rhythmus auspackt, denkt man sogar an den ohnehin drittklassigen Marilyn Manson. Die wummernden Percussion-Effekte in „Be Careful What You Wish For“ klaute Patrick zudem beim Saafri Duo. Zum Schluss bietet Patrick auch noch zweimal lupenreinen Pop, die etwas kitschigen „Burn Out The Sun“ und „Command Z“ sind sämtlicher Härte beraubt und knüpfen offensichtlich an den Zufallserfolg „Take A Picture“ vom zweiten Album „Title Of Record“ aus dem Jahr 1999 an. Und wenn man sich diesem nicht zufriedenstellenden Amalgam aus Gefälligkeit und Gitarre erstmal eine Weile ausgesetzt hat, geht einem Patricks hohe, rauhe Stimme alsbald leidlich auf den Keks; sie passt nicht immer und klingt oftmals zu pathetisch. Sobald er zurückgenommener und tiefer singt, fügt sich sein Organ besser in die Musik.

Nun ist „The Algorithm“ doch gar nicht so sehr ein Album nach einer Pause, denn nachdem Liesegang, der bereits nach dem Debüt „Short Bus“ ausgestiegen war, 2018 zu Filter zurückkehrte, planten Patrick und er, via Pledge das Quasi-Nachfolge-Album „ReBus“ zu finanzieren, was jedoch an der Pleite von Pledge scheiterte. Einige Songs aus den Sessions sollen sich nun auf „The Algorithm“ wiederfinden, indes nicht alle: Die beiden Singles „Thoughts And Prayers“ und „Murica“ aus dem Jahr 2020 sind nicht enthalten. Liesegang überdies ist inzwischen auch nicht mehr dabei, hatte aber an einigen Songs auf „The Algorithm“ seine Hände im Spiel. Zudem ist die Lücke zwischen „Crazy Eyes“ und „The Algorithm“ gar nicht die erste größere in der Discografie von Filter: Zwischen „The Amalgamut“ 2002 und „Anthems For The Damned“ 2008 formierte Patrick mit den beiden DeLeo-Brüdern Robert und Dean von den Stone Temple Pilots und dem Korn-Schlagzeuger Ray Luzier das kurzlebige Projekt Army Of Anyone.

Die jetzige Band Filter besteht abseits des Bandchefs nur aus Leuten, die nach 2011 im Gefüge auftraten – zumindest erstmals, denn sowohl Gitarrist Jonathan Radtke als auch Schlagzeuger Elias Mallin sind Rückkehrer, lediglich Bassist Bobby Miller ist seit 2014 kontinuierlich dabei, wenn auch zunächst als Keyboarder. Dafür gibt’s auf dem Album noch Gäste, darunter Zach Munowitz, Sam Tinnesz, Ian Scott (nicht der andersrumme), Mark Jackson sowie Seth Mosley von der christlichen Rockband Me In Motion. Und weil es so schön ist, sei abermals erwähnt, dass Richard Patrick der zehn Jahre jüngere Bruder von Robert Patrick ist, dem T-1000 aus „Terminator 2“ und dem Special Agent John Doggett aus „Akte X“.

Braucht man 2023 noch Musik, die nach 1995 klingt? Wer weiß, vielleicht ist dieser Sound in einigen Jahren ja auch ein Fall für Retromanien, wie es der Siebziger-Rock ja seit Ewigkeiten wieder ist, der Neunziger-Indierock findet außerdem zurzeit eine Reanimation. Noch jedoch lässt sich im Falle von Filter auch beim Wiederhören der alten Alben feststellen: Früher waren sie besser. Wie man in Würde im Industrial-Metal altert, belegen die Erfinder dieses Genres: Es gibt von The Young Gods kein einziges schlechtes oder gar peinliches Album, zudem sind die alten in Qualität gereift.