Voïvod – Morgöth Tales – Century Media 2023

Von Guido Dörheide (24.07.2023)

Voïvod haben heuer wieder einmal mehr ein Album mit mehr als zweifelhaftem Coverartwork veröffentlicht. Eine Best-of sogar, und zwar eine, für die die ersten sieben Songs neu eingespielt wurden, dann folgt ein neues Stück und dann noch eine Coverversion („Home“ von Public Image Ltd.). Kann das gutgehen?

Ja, kann es und tut es. Voivod haben sich als Covermaterial Songs aus den Jahren 1984 bis 2003 ausgesucht. Mit dem ganz wunderbaren „Rise“ vom 1997er Album „Phobos“ ist nur ein Titel vertreten, den im Original nicht Snake Belanger, sondern Eric Forrest eingesungen hat, so dass wir uns gesangstechnisch nicht auf allzu große Überraschungen einstellen müssen. Das umso weniger, da Forrest den Titel auch in der Neuauflage einsingt. Umso mehr gilt das aber für die Gitarre: Piggy (Dennis D‘Amour), zugleich einer der Hauptsongwriter der Band, starb 2005 an Darmkrebs, sein Nachfolger wurde 2008 Daniel „Chewy“ Mongrain. Piggys Songs wurden somit für „Morgöth Tales“ komplett von seinem Nachfolger Chewy eingespielt, und das sehr kompetent. Vergleichen wir beispielsweise „Rebel Robot“ vom selbstbetitelten 2003er Album, das den Namen „Voïvod“ trägt und daher genauso heißt wie die Band, die es aufgenommen hat:

Hier jetzt erstmal kurz nutzloses Wissen: Die Bassgitarre wurde auf diesem Album UND AUCH IN DER NEUEN VERSION vom großen Jason Newsted bedient, und man kann das auch hören, und das ist wahrhaft groß. Snake röhrt sich in heiserer Manier die Seele aus dem Hals (auf späteren Aufnahmen klingt er dann entspannter, aber nicht weniger eindringlich) und Piggy lässt die Gitarre ebenso heiser röhren. Das ist Prog Metal, der sich nicht in Gegniedel vertüdelt, zwischendurch hören wir Anklänge von Palm Muting (aka Djent) und über all den Lärm legen sich einfache und einfach wunderschöne Soli. Wie schlägt sich im Vergleich dazu die Rewiederneuveröffentlichung? Nun, zuallererst klingt sie ein klein wenig düsterer, Snake singt weniger stimmbandverbrauchend – und die Gitarre? Ja, sie klingt zum Glück anders als das Original, aber steht diesem an Virtuosität in nichts nach. Chewys Gitarre klingt dumpfer und damit weniger aggressiv als Piggys Original, hier wird also nicht kopiert, sondern behutsam das Erbe geworshippt, und ich gehe davon aus, dass Piggy sehr zu schätzen wüsste, wie Chewy mit den Riffs umgeht, die er von ihm geliehen hat. Und je weiter sich der 2023er Song hinzieht, umso mehr bohrt sich Snakes „There is a little matrix in everyone“ in Hammer, Amboss und Steigbügel. Genau.

Nun noch ein Wort zur Songauswahl: „Morgoth Tales“ enthält zwei neue Songs (mehr dazu später) und ansonsten Coverversionen von Liedern, die zwischen 1984 und 2003 auf Tonträger erschienen sind. Mit „Condemned To The Gallows“, ein Bonustrack zum 1984er Debüt „War And Pain“ (jahaa, so musste ein Metal-Abum damals betitelt sein), bekommen wir zu Anfang gleich den ersten Voïvod-Song überhaupt zu hören, damals ist er auf dem Metal-Massacre-V-Sampler erschienen, und er ist reiner Thrash in reinster Reinkultur, klingt dabei aber düsterer und dystopischer als alles, was Thrash damals ausgemacht hat. „Thrashing Rage“ vom 1986er Album „Rrröööaaarrr“ haut in dieselbe Kerbe, nur schneller, heiserer, und auch die 2023er Version macht dem damaligen Albumtitel alle Ehre.

Weiter geht es mit „Killing Technology“, auch hier sind wir noch im Thrash verhaftet, aber die Gitarre klingt sehr komplex und teilweise auf eine atonale Weise harmonisch, wir bewegen uns in Richtung Prog. Hernach wird dann ein Song des 1988er Überalbums „Dimension Hatröss“ verwurschtet, nämlich „Macrosolutions To Megaproblems“. Allein die Titelgebung ist ein Fest, das Original tönt ein klitzeklein wenig schwach auf der Brust und die Neuauflage bügelt das aus: Von Thrash würde ich jetzt hier nicht mehr sprechen, quietschende Riffs jagen sich gegenseitig durch die Marshalls, Rhythmus und Tempo wechseln ständig, dennoch ziehen sich schöne Melodien durch den Song, ich würde mal sagen, hier hat eine Band ihren Stil nun endlich gefunden. Dem schließt sich „Pre-Ignition“ von „Nothingface“ aus 1989 an, das sich stilistisch schöön geschmeidig an das zuvor gehörte Werk anschmiegt und neugierig macht auf das, was nun noch kommt. Und das ist „Nuage Fractal“ vom Album „Angel Rat“ aus 1991. Huuuh, was ist das? Ein elektronisch angehauchtes Schlagzeug, der Gesang mit viel Hall ganz nach hinten gemischt und die Gitarre hat nun gar nichts mehr von Metal, sondern ist eher Gothic Rock, aber guter Gothic Rock wie The Cult oder Bauhaus oder sowas. Damals sicher ein Tritt ins Gesicht, aber was machen Voïvod heuer daraus? Erstmal lassen sie es produktionstechnisch mehr donnern, geben dem Gesang mehr Bühne, die Gitarre jault aber ebenso gotisch wie damals. Sehr schön! Mit „Fix My Heart“ wird es dann wieder härter, aber nicht weniger düster: Auch hier klingt die Neuaufnahme donnernder und drohender als das Original, und die rockigen Stellen rocken nicht weniger als 1993 (o haue ha, vor 30 Jahren!).

Und am Ende nochmal Chewy: Hören wir uns das neue Stück auf „Morgöth Tales“ an, das ebenfalls auf den Namen „Morgöth Tales“ hört (Zufall oder Koinzidenz? Man weiß es nicht, man weiß es nicht…) und konzentrieren wir uns dabei kurz auf die Gitarre: Ich habe mich immer gefragt, warum ein Griffbrett einen knappen Meter lang sein muss, Chewy gibt die Antwort, indem er knapp fünf Minuten auf voller Länge drauf rumspringt und dabei immer gleichzeitig genau zehnmal so viele Töne spielt, wie ich es nach einer halben Packung Medikinet in der Lage wäre. Nur dass seine Töne nicht einfach nur da sind, sondern auch zusammenpassen. Ein wunderbares neues Stück, dass einen auf neuen Output von Voïvod hoffen macht. Und danach kommt dann noch das PIL-Cover „Home“, nah am Original, aber deutlich mehr metallisch, ganz ganz groß. Als Fazit würde ich mal sagen, es haben sich schon andere Bands deutlich mehr dabei blamiert, sich selber nachzuspielen, Voïvod haben das wirklich sehr gut gemacht.