Andris Zeiberts – Jazzkeller – Bartling Schallplatten/JAW Records 2023

Von Matthias Bosenick (24.07.2023)

Man kann es nicht anders sagen, aber nach Carsten Bohn hatte einfach jeder Schwierigkeiten, mit seiner Hörspielmusik, nicht nur für das Europa-Label und Hauptserien wie Die drei ???, Fünf Freunde oder TKKG, an dem grandiosen Oeuvre des Frumpy-Schlagzeugers anzuknüpfen und trotzdem eine eigenen Note einzubringen. Seit fast 30 Jahren trägt Andris Zeiberts nun Musik nach Europa, und weil das Interesse an Hörspielmusik ungebrochen groß ist, bringt er seine Beiträge jetzt ebenfalls gebündelt heraus. Aus Platzgründen schaffen es leider nur 14 von 24 Tracks auf die Vinyl-Version, aber da Zeiberts und sein Herausgeber Felix Bartling wissen, was die Leute wollen, lassen sie die Tracks weg, die nicht direkt mit den Drei Fragezeichen verknüpft sind, und ermöglichen den Zugriff auf das alles den Rest wenigstens per Download. Der Titel „Jazzkeller“ sagt überdies schon aus, dass Zeiberts‘ Musik der von Bohn noch recht nahe kommt: Hier stecken mehr gespielte Instrumente drin als in den rein elektronisch erzeugten Soundtracks der Kollegen. Und ja, die Stücke der LP kennt man alle, sofern man Hörspiele hört, zum Teil auch schon von der Neuauflage der Drei-Fragezeichen-Folge 29, „Die Originalmusik“.

Trotz der Electro-Einflüsse, um die auch Zeiberts nicht herumkommt, entspricht seine Musik schon einigermaßen dem Titel der Platte. Angelo Badalamenti fällt einem ein, wenn nur die Besen das Schlagzeug betupfen, oder die Golden Palominos, wenn der Jazz in manchen Elementen besonders artifiziell ertönt, oder Lalo Schifrin, wenn die Gitarre funky anschlägt; das Stück „Shaftman“ trägt die Analogie zu Isaac Hayes bereits im Titel. Zusätzlich baut der Musiker auch Neunziger-Beats wie bei Enigma ein, eine gestopfte Trompete, ein künstliches Orchester, eine Art Vibraphon, clubbige Beats, Flöten, Glockenspiele,percussive Passagen, Orgel, Offbeat, Achtziger-Pop-Saxophon, Klarinette, Klavier, bisweilen Stimmen, auch mal ein eher cheesiges Keyboard oder eine Kirchentags-Bontempi. Die meisten von Zeiberts‘ Stücken erfüllen dabei den Zweck, ein Hörspiel zu untermalen, es musikalisch mit Atmosphäre zu versehen, daher komponierte er sie eher auf Strecke als darauf hin, dass sie für sich selbst stehende Songs ergeben könnten. In manchen Tracks verliert sich seine Band wie im Jazz und gniedelt sich angenehm ein, andere versieht er mit Gesang und macht daraus beinahe radiotaugliche Trip-Hop-Stücke. Zwar sind die in der Unterzahl, doch macht gerade der Mix aus Zweck und Track den Reiz aus.

Schließlich geht es einem beim Hören die ganze Zeit so, dass man als Hörspiel-Fan denkt: Ach ja, diese Musik gibt’s ja auch noch! Und: Ach, das ist von ihm? Ausgehend von Carsten Bohn, der ab 2004 mit der Reihe „Brandnew Oldies“ seine 1983 einem Rechtsstreit zum Opfer gefallene, großartige Hörspielmusik neu eingespielt wieder zugänglich machte, folgten zahllose Komponisten seinem Beispiel. Oder griffen ihm vor, wie Jens-Peter Morgenstern, der seine ab 1997, also ab Folge 77, entstandenen chilligen Synthiesounds seit 2003 auf CDr veröffentlicht. Jan-Friedrich Conrad legte 2010 seine ab 1989 entwickelte „Hörspielmusik“ nach; ihm ist die mit Vocoder gesungene und nach Carsten Bohn bis zur Folge 124 eingesetzte Drei-Fragezeichen-Titelmusik zu verdanken, die er übrigens parallel zu Zeiberts‘ Album in sämtlichen verfügbaren Versionen als Compilation zum Download anbietet. Weitere Musik aus Europa-Hörspielen gab’s von Detlef Kuntke alias Detlef Oels, der seine Tracks jüngst nach kurzer Zeit rätselhafterweise wieder vom Netz nahm, Constantin Stahlberg, dessen Stücke man ihm indes kurioserweise nicht eindeutig zuordnen kann, Manuel Backert, dessen Plastik-Tracks es inzwischen auf drei Schallplatten gibt, sowie Andreas Erich Beurmann und Bill Holcombe. Viele von ihnen trugen ihre Musik zu den Sammelpseudonymen Bert Brac, Phil Moss und Betty George bei. Und dann gibt es ja noch Simon Bertling und Christian Hagitte, die als Stil seit 2008, also ab Episode 125, die neue Titelmelodie der Drei Fragezeichen liefern.

Der „Jazzkeller“ entführt die Hörenden in jedem Fall in eine Hörspielzeit, in der die Drei-Fragezeichen-Episoden gerade noch angenehm solide waren, ab den Neunzigern bis in die Nuller hinein. Das deckt auch in den Tracktiteln Fälle ab wie „Tatort Zirkus“, der ersten nicht-amerikanischen Episode von Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer, André Marx‘ zweite Folge „Poltergeist“, BJHWs „Schüsse aus dem Dunkel“, aber auch Ersatz-Neueinspielungen für Carsten-Bohn-Beiträge wie „Der heimliche Hehler“. Der Titel „Popol Vuh“ zitiert Marx’ Folge „Botschaft von Geisterhand“, ansonsten erklären sich die Titel nicht selbst, aber man erkennt die Stücke sofort und fühlt sich zuhause.

Zeiberts spielt seine Musik nicht allein am Computer ein, sondern mit einer Band, und das schlägt die größtmögliche Brücke zwischen Bohn und allen anderen. Die meisten Mitmusiker rekrutierte Zeiberts aus seiner damaligen Folkrock-Band Land Unter, mit der er 1994 ein selbstbetiteltes Album aufnahm: Keyboarder Ulf Möller, Gitarrist Dieter Steffen und Bassist Niko Minninger; letzterer ist ganz zufällig der Bruder von André Minninger, der seit Jahren als Nachfolger von HG Francis die Hörspielskripte bei Europa vermurkst. Als zweiter Gitarrist spielt Holger Reusch mit, als Gäste Saxophonist Klaus Rohwer, Mandolinenspieler Andy Völker und Gitarrist Defkalion Zeiberts, des Banchefs Sohn. Den Rest übernimmt Zeiberts selbst, hauptsächlich – wie Bohn – das Schlagzeug. Außerdem spielt Zeiberts überdies noch beim Impro-Jazz-Projekt Fernambuk mit, nebenbei bemerkt.

So angenehm Zeiberts‘ Musik auch ist, so wohltuend man sich in Erinnerungen wälzen kann, an Bohn kommt niemand heran. Jedenfalls nicht bei Europa: Andere Serien schaffen es sehr wohl, sich an Bohn zu orientieren und gleichsam catchy wie atmosphärische Tracks zu produzieren, allen voran Europa-Spin-Off-Serien wie „Dreamland Grusel“, die die alte „Gruselserie“ besser fortsetzen als Minninger, die satirische Drei-Fragezeichen-Was-wäre-wenn-Serie „Die 3 Senioren“ oder die leider eingestellte Konkurrenzserie „Point Whitmark“.

Und weil von allen Hörspiel-Serien die über die drei Jungs aus Rocky Beach am meisten Aufmerksamkeit erregen, ließ Zeiberts das Cover für die LP von Andreas Ruch designen, der seit einiger Zeit parallel zu Silvia Christoph das gestalterische Erbe von Aiga Rasch antritt. Ja, das verlockt zusätzlich, erwischt!