The The – The Comeback Special (Live At The Royal Albert Hall) – Cinéola/Ear Music 2021

Von Matthias Bosenick (02.12.2021)

Matt Johnson häufte in über 40 Jahren einen Riesenberg an geilen Songs an, vorrangig in den Achtzigern und Neunzigern, und aus dieser Zeit speist sich nun auch überwiegend „The Comeback Special“, ein zweistündiges Konzert, das der Komponist, Musiker und Sänger mit seiner neu- und reformierten Band The The vor drei Jahren in London gab. Was hat der Mann eine geile Stimme, was haben The The für geile dunkle Hits und Hymnen! Den alten Männern beim Mucken zugucken, kann man machen, die Mucke selbst ist wichtiger als das Bild. Wer indes beides in einer Box haben will, also Bild- und Ton-Datenträger, muss viel Geld investieren, bekommt aber noch haufenweise exklusives Bonus-Zeug dazu. Man darf gespannt sein auf das, was Johnson noch vorhat!

Fünf alte Männer, alle in dunkler Kleidung, sitzen oder stehen an oder mit ihren Instrumenten, allen voran natürlich der Chef, im schwarzen Hemd, mit Gitarre und hinter einer geweihartig verästelten Halterung für Mikrofone, die mit unterschiedlichen Effekten verknüpft sind. Damit ist schon mal optisch klar, dass die Band es ernst meint, zwar Musik macht, die Spaß oder Freude bereitet, aber durchweg seriös zu verstehen ist. Und das trifft auch zu. Erinnerungen an die Optik der Swans werden wach, nur dass die eine nicht mit der von The The vergleichbare Musik machen.

Die alten Alben von Matt Johnson hatten starke synthetische und dadurch monoton-repetetive Anteile, weil er viel zu Hause allein bastelte; nicht von ungefähr ließ sich ein Industrial-Musiker wie Trent Reznor von Johnson beeinflussen. Dieses Synthetische fällt in der Liveumsetzung natürlich weg, auch wenn ein Keyboard zum Einsatz kommt; das steuert eher Sounds bei, die ursprünglich von nicht auf der Bühne befindlichen Instrumenten wie Orgel oder Akkordeon stammen. Die Band spielt geil, im Sinne der Sache zurückhaltend, aber kraftvoll, ganz besonders ausgelassen im epischen „Uncertain Smile“, und fügt die Songs aus vier Jahrzehnten in ein homogenes Klangbild. Johnson erwartet von seinen Mitmusikern keinen Hardrock, keinen heavy Metal, geschweige denn Industrial, wenngleich „Infected“ unerwartet harsch geraten ist, sondern popnahen Indierock mit dunklem Einschlag, passend zu seinen Mantra-Texten zwischen Zynismus, Selbstreflexion und Euphorie.

Einige Songs bekommen dabei eine veränderte Ausrichtung, eine neue Atmosphäre. „The Beat(en) Generation“ etwa ist entswingt, dafür swingt hernach „Armageddon Days Are Here (Again) wieder umso mehr, „I’ve Been Waiting For Tomorrow (All Of My Life)“ ist ein aufgekratzter Funk. Einige reine Albumtracks und sogar Raritäten nahm die Band ins Set auf, darunter experimentelle beatlose Tracks wie „Like A Sun Rising Through My Garden“ von Johnsons erst später in den The-The-Kanon aufgenommenen Solo-Debüt „Burning Blue Soul“, ansonsten hält sie sich daran, das Erlebnis fürs Publikum mit Wiedererkennbarkeit zu steigern, und das gelingt ausgezeichnet, auch dadurch, dass der Sänger mit dem Publikum immer wieder in Austausch tritt. Johnson kann sich auf seine Kompositionen verlassen – und auf die Stimme, in der er Lebensweisheiten intoniert, bis zum finalen psychologischen Rat „If you can’t change the world, change yourself“ in „Lonely Planet“.

Die Band, die Johnson sich für dieses Comeback zusammensuchte, kennt sich überwiegend bereits: Von Ende der Achtziger bis Mitte der Neunziger waren Bassist James Eller und Keyboarder David „DC“ Collard bereits Teil von The The, Schlagzeuger Earl Harvin war um die Jahrtausendwende schon mal dabei, nur Gitarrist Barrie Cadogan ist neu. Ja, Johnny Marr fehlt, und ebenso die Frauenstimmen, die in vielen Originalen die Stimme von Johnson so wundervoll konterkarierten, darunter Neneh Cherry und Sinéad O‘Connor; deren Rolle übernehmen nun bedauerlicherweise die Mitmusiker.

Das zweistündige Extrakt von drei Konzertabenden in der Royal Albert Hall liegt der Box als Doppel-CD sowie DVD und BluRay bei. Als Zusatz gibt es eine CD mit Kommentaren zu den Fotos aus dem beigefügten Buch, eine CD mit einem Radiospecial inklusive exklusiver Songs, eine CD mit einem launigen Interview sowie eine 10“ mit einem Remix („Global Eyes“ von DJ Food bearbeitet, mit dem Johnson bereits zusammenarbeitete) und einem Livetrack („I Saw The Light“ von Hank Williams, also von „Hanky Panky“, dem einzigen The-The-Album, das beim „Comeback“ unberücksichtigt blieb, abgesehen von den Soundtracks). Für 170 Euro also mehrere Stunden Freude an einer Band, die seit über 20 Jahren kein Album mit Songs mehr herausbrachte, dafür jüngst aber vermehrt Soundtrackarbeiten, Archivmaterial (auch von The Gadgets), Bootlegs und Singles. Ein neues Album kündigt Johnson mit dieser Box quasi an – man darf gespannt sein!

Die Songs (auf den CDs ist „Global Eyes“, im Original 1999 wie alles auf „NakedSelf“ noch zeitgemäß ohne Lücke geschrieben, nur einmal enthalten):

01 Global Eyes (von „NakedSelf“, 1999)
02 Sweet Bird Of Truth (von „Infected“, 1986)
03 Flesh And Bones (Split-Single mit Virginia Astley, 1985)
04 Heartland (von „Infected“, 1986)
05 The Beat(en) Generation (von „Mind Bomb“, 1989)
06 Armageddon Days Are Here (Again) (von „Mind Bomb“, 1989)
07 A Long Hard Lazy Apprenticeship (von „Radio Cinéola Trilogy“, 2017)
08 We Can’t Stop What’s Coming (Single, 2017)
09 Phantom Walls (von „NakedSelf“, 1999)
10 Love Is Stronger Than Death (von „Dusk“, 1992)
11 Dogs Of Lust (von „Dusk“, 1992)
12 Helpline Operator (von „Dusk“, 1992)
13 This Is The Night (von „Dusk“, 1992)
14 This Is The Day (von „Soul Mining“, 1983)
15 Soul Catcher (von „NakedSelf“, 1999)
16 Bugle Boy (von „Burning Blue Soul“, 1981)
17 Beyond Love (von „Mind Bomb“, 1989)
18 Slow Emotion Replay (von „Dusk“, 1992)
19 (Like A) Sun Rising Thru My Garden (von „Burning Blue Soul“, 1981)
20 Global Eyes (von „NakedSelf“, 1999)
21 Infected (von „Infected“, 1986)
22 I’ve Been Waiting For Tomorrow (All Of My Life) (von „Soul Mining“, 1983)
23 True Happiness This Way Lies (von „Dusk“, 1992)
24 Uncertain Smile (von „Soul Mining“, 1983)
25 Lonely Planet (von „Dusk“, 1992)