The Cure – 40 Live – Eagle Vision/Universal 2019

Von Matthias Bosenick (24.01.2020)

Mit gleich zwei überlangen Livekonzerten feiern The Cure ihren 40. Geburtstag und decken damit ihre komplette Discographie ab. Konzeptbedingt: Der erste Gig namens „Curætion25” beinhaltet je einen Song von jedem Album, zunächst von alt nach neu und dann wieder umgekehrt, und der zweite Gig mit dem schlichten Titel „Anniversary” berücksichtigt zusätzlich zu den wenigen Überschneidungen auch die Hits und Lieblingsstücke, die The Cure ansonsten noch so anzubieten haben. Die gegenwärtige Band spielt sich tight und originalgetreu vom Postpunk über Wave, Disco, Shoegaze, Manchester-Rave, Rock bis Pop durch das vielfältige Oeuvre der Paradegruftband. Die können’s noch!

Man fragt sich natürlich: Wie kommen bei 13 Studioalben und je zwei Songs von jedem auf „Curætion25“ ganze 28 Lieder zusammen? Auf das 14. Album wartet die Welt doch nun seit über elf Jahren. Und tatsächlich, die beiden Songs im Scheitelpunkt der Kurve sind neu und geben womöglich einen Ausblick auf das, was da kommen mag. Das bleibt in der Spur, nicht so verkünstlicht wie die Vorabsingles zu „4:13 Dream“, die dann auch auf dem Album wieder mehr nach The Cure klangen, und im Sound so ins Konzept eingebettet, dass sie zeitlich gar nicht einzuordnen wären. Unaufgeregt, aber schön.

Im Rahmen des Konzeptes sehen sich The Cure zudem dazu gezwungen, auch mal wieder Raritäten ins Set aufzunehmen. So bekommt man „Bananafishbones“ und „Jupiter Crash“ zu hören; das zu letzterem gehörende Album „Wild Mood Swings“ gehört für The Cure ohnehin nur seltenst ins Set. Ebenfalls konzeptbedingt fehlen natürlich Singles, die von keinem Album stammen, aber dafür gibt’s in dieser Box eben noch das zweite Konzert. Es lässt sich die kreative Entwicklung der Band recht schön nachzeichnen, obschon die ironischen Discohits der Compilation „Japanese Whispers“ eben fehlen. The Cure sind zwar längst wieder eine Gitarrenband, doch streuen sie an entscheidenden Stellen Samples ein und haben einen Keyboarder dabei, für die schönen Flächen mancher Stücke. Und niemand wimmert dazu so wehmütig wie Robert Smith.

Auf der „Anniversary“ bekommt man dann endlich „The Walk“, aber auch die frühen Non-Album-Hitsingles „Boys Don’t Cry“ und „Jumping Someone Else’s Train“ sowie „Burn“ vom „The Crow“-Soundtrack und „Never Enough“ von der „Mixed Up“-Compilation, offenbar das einzige Stück seiner Art übrigens, das für The Cure selbst relevant ist, denn „Wrong Number“ von der „Galore“-Compilation sowie „Just Say Yes“ von der „Greatest Hits“ berücksichtigen sie nicht nur hier nicht. Das Set endet mit den ersten Hits von vor 40 Jahren, als letztes spielen sie mit „Killing An Arab“ ihre allererste Single aus dem Jahr 1978, das sie noch vor einiger Zeit selbst zensierten, um nicht als islamophob zu gelten, derweil aber offenbar hinreichend Aufklärungsarbeit dahingehend leisteten, dass sich das Lied auf Albert Camus bezieht, und ändern den Text hier daher nicht mehr ab, etwa in „Kissing An Arab“.

Was beide Konzerte eint, ist das Tempo: Die Band lässt kaum Raum, die Songs wirken zu lassen, da hat man The Cure schon anders erlebt. Insbesondere das allseits gefeierte „A Forest“ verliert hier an Wirkungskraft, weil es sich einfach jeweils an das Stück davor anschließt; das hat man auch schon anders erlebt. Auf großartige Ansagen von Robert Smith wartet man zudem vergebens, einen kurzen Text zum 40. Geburtstag gibt es immerhin während „Anniversary“. Das hat wiederum den Vorteil, dass man die Musik eben ohne Unterbrechungen genießen kann.

Trotzdem fehlen einige Hits und persönliche Favoriten, aber wer 40 Jahre lang Musik macht, hat eben ein gigantisches Oeuvre, das selbst in sechs Stunden Spielzeit und abzüglich gelegentlicher Dopplungen nicht umfassend berücksichtigt werden kann. Zudem stellt man fest, dass Robert Smith in seinem eigenen Schwerpunkt bestimmte Alben bevorzugt und andere komplett ausklammert. Gerade deshalb ist so ein enges Konzept wie das von „Curætion25“ so bemerkenswert.

Neben Robert Smith sind hier bei The Cure: Bassist Simon Gallup (bereits 1979 mit einer kurzen Pause bei The Cure), Schlagzeuger Jason Cooper (seit 1995 dabei), Gitarrist Reeves Gabrels (Anfang der Neunziger von Tin Machine ausgehend Gitarrist bei David Bowie, seit 2012 bei The Cure) und Keyboarder Roger O’Donnell (seit 1997 mit Unterbrechungen an Bord). Seit acht Jahren ist das ursprüngliche Trio also mal wieder zu fünft.

Beide Konzerte gibt es separat erhältlich, in dieser Box finden sie sich alternierend als DVD oder BluRay sowie auf vier zusätzlichen CDs inklusive einem bunt bebilderten Begleitbuch vereint. Gerade diese Kombination lohnt sich, wegen des breiter gefassten Überblicks. Und weil die Box hübsch anzusehen ist.

Curætion25 Tracklist:
From There To Here:
01 Three Imaginary Boys (von „Three Imaginary Boys”, 1979)
02 At Night (von „Seventeen Seconds“, 1980)
03 Other Voices (von „Faith“, 1981)
04 A Strange Day (von „Pornography“, 1982)
05 Bananafishbones (von „The Top“, 1984)
06 A Night Like This (von „The Head On The Door“, 1986)
07 Like Cockatoos (von „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“, 1987)
08 Pictures Of You (von „Disintegration“, 1989)
09 High (von „Wish“, 1992)
10 Jupiter Crash (von „Wild Mood Swings“, 1996)
11 39 (von „Bloodflowers“, 2000)
12 Us Or Them (von „The Cure“, 2004)
13 It’s Over (von „4:13 Dream“, 2008)
14 It Can Never Be The Same (neu)
From Here To There:
15 Step Into The Light (neu)
16 The Hungry Ghost (von „4:13 Dream“)
17 Alt.End (von „The Cure“)
18 The Last Day Of Summer (von „Bloodflowers“)
19 Want (von „Wild Mood Swings“)
20 From The Edge Of The Deep Green Sea (von „Wish“)
21 Disintegration (von „Disintegration“)
22 If Only Tonight We Could Sleep (von „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“)
23 Sinking (von „The Head On The Door“)
24 Shake Dog Shake (von „The Top“)
25 One Hundred Years (von „Pornography“)
26 Primary (von „Faith“)
27 A Forest (von „Seventeen Seconds“)
28 Boys Don’t Cry (von „Three Imaginary Boys“)

Anniversary 1978-2018 Tracklist:
01 Plainsong (von „Disintegration“)
02 Pictures Of You (von „Disintegration“)
03 High (von „Wish“)
04 A Night Like This (von „The Head On The Door“)
05 The Walk (von „Japanese Whispers“)
06 The End Of The World (von „The Cure“)
07 Lovesong (von „Disintegration“)
08 Push (von „The Head On The Door“)
09 Inbetween Days (von „The Head On The Door“)
10 Just Like Heaven (von „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“)
11 If Only Tonight We Could Sleep (von „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“)
12 Play For Today (von „Seventeen Seconds“)
13 A Forest (von „Seventeen Seconds“)
14 Shake Dog Shake (von „The Top“)
15 Burn (von „The Crow“ O.S.T., 1994)
16 Fascination Street (von „Disintegration“)
17 Never Enough (von „Mixed Up“, 1990)
18 From The Edge Of The Deep Green Sea (von „Wish“)
19 Disintegration (von „Disintegration“)
20 Lullaby (von „Disintegration“)
21 The Caterpillar (von „The Top“)
22 Friday I’m In Love (von „Wish“)
23 Close To Me (von „The Head On The Door“)
24 Why Can’t I Be You? (von „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“)
25 Thanks @ 40
26 Boys Don’t Cry (von „Boys Don’t Cry“, 1980)
27 Jumping Someone Else’s Train (von „Boys Don’t Cry“)
28 Grinding Halt (von „Three Imaginary Boys“)
29 10.15 Saturday Night (von „Three Imaginary Boys“)
30 Killing An Arab (von „Boys Don’t Cry“)