The Chemical Brothers – No Geography – Virgin/Astralwerks 2019

Von Matthias Bosenick (29.05.2019)

Die sampeln auf ihrem neuen Album wirklich alles, diese Chemical Brothers. Siebziger-Disco-Beats, Achtziger-House-Sequenzen, gern auch sich selbst sowie für den Titel einen Dichter und für das Cover von Godley & Creme. Heraus kommt ein Album ohne vordergründige Smashhits, das eher den Eindruck eines chillig-tanzbaren DJ-Sets macht. Läuft gut durch, braucht aber etwas, um hängen zu bleiben. Dennoch, gewohnt hohe Qualität bei den Bigbeat-Miterfindern.

Die zehn Songs gehen nicht im Viervierteltakt auf die Zwölf, der rhythmische Wumms der vorherigen Alben ist hier zerbrochen, gegen vordergründige Geradlinigkeit oder plakative Effekthascherei. Schade, denkt man zunächst, weil die plakativen Effekte der Chemical Brothers, anders als die vieler anderer Elektromusiker, immer gehaltvoll waren. Die beiden Nichtbrüder lassen die trippigen Stücke nahezu untrennbar ineinander übergehen, sieht man einmal davon ab, dass es zur Mitte einen Bruch gibt – schließlich gibt es das Album auch auf Vinyl. Das Sample des einen Tracks findet sich noch im Intro des nächsten, beispielsweise, und der Beat setzt sich ohnehin fort. Interessantes Konzept für ein Album.

Die Hooks knallen dieses Mal nicht pointiert gesetzt, sondern erfolgen durch zurückhaltende Wiederholungen. Damit und mit sich schleichend verändernden Soundspielereien und Melodieführungen machen die Brothers die Tracks unterscheidbar. Diverse Sounds kennt man bereits von früheren ChemBros-Alben, manches hat man noch von früher aus der Disco oder dem House-Club im Ohr. In seiner schlüssigen Folge ergibt das Album einen Flow ohne so richtig herausragende Höhepunkte, mit einer gutgelaunten Ernsthaftigkeit unterlegt. Und mit sich auf ihre Weise catchy wiederholenden parolenhaften Samples und originären Stimmbeiträgen, darunter von der Norwegerin Aurora und dem Japaner Nene. Sowie einer Lesung aus dem Gedicht „Geography“ des New Yorker Poeten Michael Brownstein, das dem Album den Titel verleiht (und nicht etwa das Debütalbum von Front 242). Das Cover hingegen klauten die Chemical Brothers exakt aus dem Booklet des Albums „Consequences“ von Godley & Creme.

Damit kochen die Chemical Brothers auf kleiner Flamme ein leckeres Süppchen. Man kann dies als Understatement auffassen, schließlich mischten sie ansonsten gern mit mindestens der Lead-Single jedes Albums die zeitgenössischen Tanzflure auf. Doch auch ohne solche Tracks kredenzen die Brüder eine schöne Strecke bewegender Elektromusik. Deutlich erwachsener zumal als die Bigbeat-Kollegen von The Prodigy. Gelungen, und: Einmal mehr kein schlechtes Album von diesem Duo. Seltenheitswert!