Sibylle Schreiber – Das 3×8 der Liebe – Ehrlich-Verlag 2024

Von Matthias Bosenick (29.04.2024)

Es ist nie zu früh, an Weihnachten zu denken – und nie zu spät für das große Glück: Mit „Das 3×8 der Liebe“ veröffentlicht die eigentlich blutrünstige Thriller-Autorin Sibylle Schreiber weit außerhalb der Vorweihnachtszeit eine besondere Geschichtensammlung. Aufgeteilt auf 24 Adventskalendertürchen, berichtet sie von 24 Liebesgeschichten rund um die Welt und leuchtet dabei lokale Weihnachtsbräuche aus, mit Romantik, Tragik, Humor, Action, Jugend, Alter, Leben und Tod, sogar mit Metaphysik und Folklore. Sie erzählt in ihrem empathischen, bildreichen und assoziativen Schreibstil, gleichzeitig gewählt und am Puls der Zeit – man muss gar nicht bis zur Adventszeit warten, um an diesem Buch Freude zu haben.

So manches Tränchen der Rührung schleicht sich bei der Lektüre aus den Augenwinkeln. Wie sie das nur hinbekommt: Früher verfasste Schreiber mordlüsterne Geschichten mit tiefschwarzer Färbung und unschönem Ausgang, und nun verwendet sie dieselbe Sprache, um ganz andere Inhalte mit ganz anderem Ausgang zu kreieren. Und es gelingt ihr fabelhaft! Schreibers Sprache ist geerdet, sie ist ganz bei der Sache, ob sie nun Menschen in ihrer Hinterlist ins Verderben führt – oder eben in die unendliche Liebe, das Werkzeug der Autorin wechselt nicht. Interessanterweise hält sie ihre subversive Sicht aus den Liebesgeschichten dennoch nicht heraus, sie setzt sie nur anders ein.

24 Liebesgeschichten also erzählt Schreiber hier, und zwar jede aus einem anderen Land, mit anderen Gepflogenheiten oder Mythologien drumherum. Die Recherchearbeit muss immens gewesen sein, „Das 3×8 der Liebe“ eignet sich beinahe als Enzyklopädie für teilweise kuriose lokale Bräuche und Legenden rund um die Welt – wie Schreiber Details in die Handlungen einbaut, wirkt es, als habe sie sie sämtlichst selbst erlebt. Die romantischen Begebenheiten außerdem. Wer weiß schon etwas von tschechischem Aberglauben, Rollschuhweihnachten in Venezuela oder griechischen Kobolden? Die Ideenfülle ist immens. Der Weihnachtsmann hat gleich mehrfach seinen Auftritt, stets in anderer Erscheinung. Aber nicht nur, andere Geschichten behandeln alltägliche Situationen, die Schreiber in etwas rosarotes Besonderes münden lässt: Schnee in den Tropen, Lebensumgestaltung in der Arktis oder Brauchtumserweiterungen in Israel gehören zu den Überraschungen, die die Autorin für ihre Paare bereithält.

Diese stehen überdies nicht immer am Anfang einer Beziehung, nicht einmal immer am Anfang des erwachsenen Lebens: Die Altersspanne der Protagonisten reicht von Teenager bis wortwörtlich unendlich und einige Paare finden sich auf spektakuläre Weise erst, andere vertiefen eine bereits etablierte Liebe. Eine wundervolle Bandbreite, in jeder Hinsicht. Auch spart Schreiber den Tod nicht aus, obschon sie ihn hier vollkommen anders in Erscheinung treten lässt als in ihren Blutsbüchern. Einmal sogar behandelt sie eine Trennung, die einer wahrhaftigeren Liebe Platz machen muss; das Leben ist vielseitig, die Geschichten sind es auch. Entsprechend fallen manche Texte sogar philosophisch aus, andere gesellschaftskritisch; Fast Food ist Teil eines Weihnachtsbrauches in Japan, doch die Autorin lässt das Paar jener Geschichte abfällig über das Essen urteilen. Auch Armut und Standesunterschiede finden Einlass in dieses Buch, Sexualität in Andeutungen, Spannung, und trotz aller Romantik auch Humor, in den schlagfertigen Dialogen ebenso wie in der gelegentlich wundervoll bodenständigen Wortwahl. Passend zu Weihnachten ist hier auch von so manchem Wunder die Rede.

Eigentlich war dieses Buch als Adventskalender für den Gatten der Autorin vorgesehen, mit dem Hinweis der beiden auf die gemeinsame Liebesgeschichte als 24. Türchen. Gottlob ließen sich Beschenkter und Beschenkende davon überzeugen, diesen Schatz an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Als Bonus steuerte Michael „Arni“ Arnold sechs Illustrationen bei, die die Stimmung der Texte bestens einfangen. Was für ein Sprung: Nach zwei vornehmlich mordlüsternen Büchern („Ich wollte immer mal einen Liebesbrief schreiben“, „Ich sehe Männern gern beim Schwimmen zu“) und einer aktuell in Fortsetzung befindlichen herzerwärmenden Geschichtensammlung aus dem Hospizhaus („Vom Lachen über den Tod“) plötzlich Liebesgeschichten, und alles passt perfekt zusammen. Man spürt Schreibers Leidenschaft für die Liebe und für das Fest derselben in jeder Zeile. Ist das Buch am Ende kitschig? Wer so denkt, verdient es nicht!

Topaktueller Geschenktipp: Weihnachten kommt bekanntlich früher, als man denkt, und Liebe findet sich rund ums Jahr!