Neil & The Horse – Fu##in’ Up – Reprise Records 2024

Von Guido Dörheide (29.04.2024)

Wäh? Nicht irgendein Horse, sondern „The“ Horse? Und nicht mal mehr verrückt, das Pferd? Ein Blick in die Besetzungsliste schafft Klarheit: Neil & The Horse sind Neil Young, die verbliebenen Crazy-Horse-Mitglieder Billy Talbot und Ralph Molina, Nils Lofgren (der seit 2018 den ausgeschiedenen Frank „Poncho“ Sampedro bei Crazy Horse ersetzt) und Micah Nelson von Promise Of The Real, die ebenfalls schon gemeinsam mit Young musiziert haben. Anstatt die Band also einfach „Molina, Talbot, Lofgren, Nelson & Young“ oder „Nils, Young, the Rest of Crazy Horse & the Son of Willie Nelson“ zu nennen, wählte man „Neil & The Horse“.

Bereits aufgrund des Albumtitels „Fu##in’ Up“ ist mir beim Betrachten des Cover-Artwork nicht aufgefallen, dass hinter dem „Neil“ kein „Young“ steht, handelt es sich doch beim titelgebenden Song um einen der Hits aus Neil Young & Crazy Horses 1990er Album „Ragged Glory“. Mir, der sich Youngs Alben zu Beginn der 1990er Jahre, nachdem mich mein Schulfreund Andreas P. mit „Harvest“ konfrontierte und ich darob zum Neil-Young-Fan wurde, so nach und nach bis „Harvest Moon“ zusammengesammelt hatte und dann immer jeweils beim Erscheinen das neueste Album erstand, war „Ragged Glory“ nach den 1970er-Überalben wie „Rust Never Sleeps“ oder „After The Gold Rush“ immer das liebste Young-Album. Bis auf das in meinen Augen gut gemeinte, aber überflüssige, weil weinerliche „Mother Earth (Natural Anthem)“ enthielt das Album nur mit Gitarren-Feedback angefüllte Rocksongs, die schwer und melodiegeladen über die wie immer betrunkenen Hörenden hinwegrollten wie ein 30-Tonnen-LKW im Regen, dessen Fahrer auf dem Weg zum Bahnhof noch eben seine Mutter aus dem Gefängnis abholt. Also kein Folk, nirgends, nur jaulende Gitarren, stampfenden und groovenden Beats und einen wütend klingenden Young, der wahlweise über sein Country Home lobhudelt, weil es ihm Seelenfrieden gibt, eine Villa auf dem Hügel mit vortrefflicher psychedelischer Musik besingt oder John, den Bauern, anschreit, dass er unsterblich verliebt in dessen Tochter sei, weil diese so schön wackele beim Gehen. Alles Themen, die längst mal ausgiebig besungen werden mussten. Danach hat Young auf dem zweifelsohne großartigen und wichtigen „Harvest Moon“ wieder zurück zum Folk gefunden, zusammen mit Pearl Jam auf „Mirror Ball“ seinen Status als Pate des Grunge gefestigt und zahllose gute, aber sich bei mir nicht mehr so ins Langzeitgedächtnis einbrennende Alben wie „Sleeps With Angels“, „Greendale“ oder „Living With War“ veröffentlicht, und dazu gefühlt 100.000 qualitativ hochwertige alte Liveaufnahmen aus seinem nicht enden wollenden Archiv, was neben dem Umstand, dass ich erstmal über 30 Jahre alt werden musste, um „Harvest Moon“ und „Mirror Ball“ schätzen zu lernen, dazu beitrug, dass das besagte „Ragged Glory“ das letzte Young-Album war, das mich so richtig umgehauen hat.

Und genau dieses Teil – hihi, schlauerweise ohne „Mother Earth“ – hat der Meister nun live eingespielt, und zwar nicht irgendwo vor 30 Jahren und jetzt aus dem Ohrschief, wie mein Chef immer sagt, gezogen, sondern letztes Jahr (2023!) im November in Toronto, Kanada.

Youngs Stimme und Youngs Gitarre klingen immer noch so großartig wie 1990, Lofgren und Nelson fügen sich nahtlos ins damalige Line-up ein, die Songs sind lang (waren sie damals schon, aber als Live-Version eben noch länger) und ausufernd, ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu langweilen, und sie tragen teilweise putzige, neue Titel, die aus den jeweiligen Texten entnommen wurden. So wird beispielsweise „Country Home“ zu „City Life“ oder „Love To Burn“ zu „Valley Of Hearts“. Ein überflüssiger, aber charmanter Einfall, wie ich finde.

Songs von „Ragged Glory“ waren bereits auf den Live-Alben „Weld“ (1991) und „Way Down In The Rust Bucket“ (2021) enthalten, die beide während der 1990er Ragged-Glory-Tour aufgenommen wurden, sowie auf „Earth“, zusammen mit Promise Of The Real, diesmal 2015 eingespielt. Die aktuellen Versionen aus dem vergangenen Jahr sind deutlich näher an den 1990er Aufnahmen dran und das ist alles andere als ein geschichtsduseliger Abklatsch von sich selbst, sondern der mehr als gelungene Versuch, die Energie und das brillante Songwriting von vor über 30 Jahren absolut perfekt in die Neuzeit zu übertragen.