Madrugada – Chimes At Midnight – Warner 2022

Von Guido Dörheide (04.05.2022)

Ich gebe gleich zu Anfang mal zu: Ich habe damals in den 90ern und 2000ern bis zu ihrer Auflösung aufgrund des Todes ihres Gitarristen Robert Burås Madrugada niemals zur Kenntnis genommen und habe nicht ein einziges Stück von ihnen bewusst gehört. Das neue Album „Chimes At Midnight“ gefällt mir aber dermaßen gut, dass ich beschlossen habe, es erstmal in aller Isolation auf mich wirken zu lassen und mich erst danach mit dem früheren Werk der norwegischen Band zu beschäftigen.

Klingt ignorant, dilettantisch, von Sachkenntnis ungetrübt? Ja, vielleicht stimmt das. Aber alsdann – gehen wir es an:

Da ist zunächst die Stimme des Sängers Sivert Høyem: Ich grübele seit Tagen nach, an wen sie mich erinnert. Jim Morrison? Nick Cave? Ein wenig Jim Osterberg mit einem Ideechen Leonard Cohen? Diese Stimme und die spezielle Art, zu singen, sind es auf jeden Fall, die mich gleich beim ersten Stück „Nobody Loves You Like I So“ an dem Album festkleben ließen und es mich unbedingt zuerst weiter und weiter und dann immer und immer wieder anhören ließen. Der Titel klingt ja erstmal schön, oder romantisch, die Lyrics sind es definitiv nicht: „Your hands are so cold […] Maybe it‘s not enough, Nothing ever is […] You give yourself away, you give yourself away“ – das holt einen nicht ab, das nimmt einen nur mit, und der Refrain „Nobody loves you like I do“ – mit um einige Grade abgekühlter Stimme vorgetragen – klingt nicht nach Liebesbekundung, sondern nach offener Drohung. Diesen Song könnte man sich auch vollkommen unbedarft anstelle von „Every Breath You Take“ zum Geburtstag der/des Lebensgefährt*innen (m/w/d/gleich mehrere) im Rockradio wünschen.

Von der Gesamtstimmung her erinnert mich „Chimes At Midnight“ an alte Bands aus meiner Jugend wie „Die Haut“ – und da ist dann ja auch der Nick-Cave-Bezug wieder hergestellt. Die Gitarre klingt auf vielen Stücken des Albums sehr folkig/americanerig – auf jeden Fall nie kreischend, nie krachend, nie quietschend. Der Stil des Albums ist düster – aber immer im Sinne von „melancholisch“, nie dabei hart werdend oder aggressiv sich aufdrängend.

Ich finde es unglaublich, wie eine Band mit derlei konventionellen und altbekannten Zutaten einen Sound und eine Stimmung erschaffen kann, die am Ende nicht nach irgendeiner anderen Band, sondern einzigartig klingt. Und ja – The National und The War On Drugs kommen mir angesichts meines Gefühls und meiner Stimmung beim Hören des Albums auch noch in den Sinn.

So, und jetzt gehe ich bei und höre mir die alten Madrugada-Alben an. Und finde es jetzt schon schön, dass diese Band wieder da ist, die ich ja dank meiner bisherigen Unkenntnis überhaupt gar nicht vermissen konnte. Und es trotzdem getan habe.