The Birthday Massacre – Fascination – Metropolis 2022

Von Guido Dörheide (30.04.2022)

Mein Kollege aus dem Reich der Bilanzen und der Liquidität 2. Grades und ich schicken uns gegenseitig regelmäßig Youtube-Videos mit dem Hinweis „das musste unbedingt mal angehört gehabt haben und so“ – uns stellen dann fest, dass wir zwar beide eine Vorliebe für düstere Musik haben, aber dass diese Musikrichtung so breit gefächert und so vielschichtig ist, dass wir begeisterungsmäßig meistens leider nicht so 100%ig zusammenkommen. Vielleicht sollten wir vereinbaren, dass alles, was wir uns demnächst gegenseitig empfehlen, aus Kanada kommen muss, denn siehe da – in meinem Postfach landete der Tipp „hör doch mal in ‚Fascination‘ von The Birthday Massacre rein“ – ich googelte, las „Kanada“, hörte rein und war begeistert.

Der erste Song, das Titelstück des Albums, wächst mit jedem Mal, das man es hört: Zunächst dachte ich „nett“, beim nächsten Durchlauf „gut“, dann „toll“, dann „großartig“. Nun will man sich ja aber nicht durch ein Album quälen, bei dem man sich jedes Stück erstmal durch zahlreiche Angewöhnung „schönhören“ muss – und TBM erlösen die/den Hörenden gleich mit dem zweiten Stück: „Dreams Of You“ ist gleich beim ersten Hören sowas von eingängig und schön, dass ich es immer wieder hören wollte. Sara Taylors Stimme nimmt einen von Anfang an gefangen und hinter ihr türmt sich eine Klangwand aus perfekt aufeinander abgestimmten Gitarren, Keyboards, Bass und Schlagzeug auf, die beständig zwischen gruftig und poppig hin und her wandeln und beim Hören trotz deutlich vorhandener Düsternis sehr glücklich macht.

Auf „Cold Lights“ gewinnt ein pluckernder (sorry – ich liebe dieses Wort) Synth die Oberhand, Taylors Stimme bezaubert aufs Neue und auch hier offenbart sich wieder TBMs Gespür für wunderschöne Melodien. Auf „Stars And Satellites“ wird dann die Musik lauter, sehr von Synths beherrscht, der Gesang tritt eine Stufe weiter in den Hintergrund und wird trotzdem nicht nebensächlich. Gegen Ende des Stücks liefert sich eine härtere Gitarre ein Duell mit den Synths, gewinnt mit einem schönen Solo die Oberhand und wird dann wieder vom Synth abgelöst, dann wieder der tolle Gesang, dann ist das Stück zuende. Großartig!

So geht es weiter und weiter und langweilt niemals. Höhepunkt des Albums ist „Like Fear, Like Love“, das mit superauthentischer 80er-Jahre-Düsterrock-Anmutung startet, anschließend setzt Sara Taylors Gesang ein und katapultiert das Stück schlagartig zurück in die Gegenwart, und die mit einer leicht klirrenden Stimme vorgetragene Refrainzeile „I don‘t wanna live this way forever“ sorgt für Gänsehaut. Und gleichzeitig ist das Stück so discotauglich, dass die/der Hörende sich längere Haare wünscht, die sie/er sich vors Gesicht hängen kann, um darunterweg den Zustand der eigenen Schuhe begutachten zu können – zwei Schritte vor, zwei Schritte zurück. Gesangsmäßig wird Sara Taylor dann bis zum Ende der Platte nicht schlechter – mal hoch und glockenhell, mal leicht hart, dann wieder kühl, und immer transportiert sie mit ihrer Art zu singen viel Gefühl und auch Wärme – trotz der traurigen Texte, in denen sich Taylor an hoffnungslosen Beziehungen und Gefühlssituationen abarbeitet, die sie hoffentlich nicht alle selbst erlebt hat.

Musikalisch hat mich dann „Precious Hearts“ nochmal sehr mitgerissen – Gitarren und Synth sind perfekt abgestimmt, der Bass ist immer gut hörbar und sorgt für das nötige Magengrummeln, das Stück ist gleichzeitig laut donnernd und dennoch irgendwie filigran – muss am Gesang liegen. Beim Intro des Abschlussstücks „The End Of All Stories“ hätte ich dann erwartet, dass gleich Robert Smith anfangen müsste zu singen – irgendein 1982 nicht aufs Album genommenes Cure-Stück halt, dann Taylors Gesang, dann die Erkenntnis „Wir sind hier nicht bei ‚Pornography‘, wir sind bei ‚Fascination‘“ – boah, die Vorfreude aufs nächste Stück steigt. Dann die Erkenntnis: „The End Of All Stories“ war das letzte Stück des Albums. Na gut – dann hören wir es eben nochmal von vorne an. Toll!