Jemek Jemowit – Zemsta – Fabrika/Atypeek 2011/2023

Von Matthias Bosenick (19.10.2023)

Jemek Jemowit muss seit 2011 einiges an Gefolgschaft gewonnen haben, dass man sein Debüt „Zemsta“, das 2011 auf einem kleinen griechischen Label erschien, zwölf Jahre später erneut veröffentlicht – denn für eine erwartbare breite neue Hörerschaft ist es sicherlich nicht bestimmt, dafür ist es viel zu freakig. Wie der ganze Typ, der wiederum genau deshalb für Aufmerksamkeit sorgt, zumindest in Berlin, und was da passiert, ist ja seit jeher global relevant. Mit klar an den Achtzigern orientierten Synthie-Sounds kreierte Jemowit mit „Zemsta“ ein satirisches Album zwischen Proto-NDW, Minimal-EBM, Düster-Techno und Gruft-Rap. Wären die Beats fetter, fielen einige der Stücke in Ihrer favorisierten Gothic-Disco sicherlich gar nicht weiter auf. Bitte Zwischen DAF, Kraftwerk, Laibach und Die Trottelkacker einsortieren.

Als Jemowit „Zemsta“ aufnahm, war er um die 25 Jahre alt. Da stellt sich die Frage, ob die Achtziger-Anmutung des Albums eine retroselige Absicht war oder vielmehr den verfügbaren Produktionsmitteln geschuldet: Die Synthies und Beats sind vergleichsweise schwachbrüstig produziert, und was man zu hören bekommt, sind minimalistische Pattern mit harmonischen bis quäkenden Melodien, hier etwas Techno-Tröt, da etwas Industrial-Scheppern, etwas Synthpop, etwas Minimal-Electro, etwas EBM, etwas Autoscooter-Kirmes, eine Art Proto-NDW vielleicht. Die Maschinerie, die ihm dafür zur Verfügung stand, erweckt nicht den Eindruck, eine besonders kostenintensive Investition gewesen zu sein.

Auch wenn das Ganze sehr sehr eigen ist, finden sich hier und da Analogien, sogar mehr, als man benennen kann. Monotone Synthie-Beats und deutschsprachige Parolen erinnern an DAF, Elektro und Deutsch natürlich an Kraftwerk, klar, die tiefe Stimme wahlweise an Andrew Eldritch von den Sisters Of Mercy oder Milan Fras von Laibach, je nachdem, wie die Musik drumherum gestaltet ist, manche Sounds lassen Tubeway Army durchschimmern, mancher Rap-artiger Sprechstil Falco, manche Passage Sven Väths erstes Projekt Off. Und dann die Darreichungsform: Zwar hält Jemowit einige Stücke auf Polnisch, dann dringt der Eindruck von Laibach noch stärker durch, aber die meisten auf Deutsch, und auch wenn er sich auf dem Album kritisch mit seiner polnischen Herkunft auseinandersetzt, tragen viele Texte doch etwas Satirisches, Absurdes in sich. Allein ein Titel wie „Internist im Internet“ hätte den grandiosen Trottelkackern gutgestanden, siehe „Besitzer eines Bisams“ oder so.

Aber auch und gerade mit Satire lassen sich ja vortrefflich todernste Themen behandeln, und das ist für den 1986 als Ziemowit Nowak geborenen Künstler, der als Kind nach Gropiusstadt kam und nach wie vor in Berlin aktiv ist, nach „Zemsta“ („Rache“) zum wesentlichen Teil seines Ausdrucks geworden, kombiniert mit ständigen Identitäts- und Stilwechseln: Jemowit machte Rap und erfand das Genre Tekkno Polo, setzte der schwulenfeindlichen polnischen Politik den erfundenen queeren Popstar Zygmunt Blask entgegen, machte sich selbst zum „Wr​ó​g publiczny no. 1“ („Staatsfeind Nummer 1“) und erwärmte sich für den Satanismus nach Anton LaVey, um damit den in Polen vorherrschenden Katholizismus herabzuwürdigen.

Der Konzeptkünstler hört nicht auf, sich einzumischen: Jemowits letzte Veröffentlichung ist die EP „P.Z.P.R. Propaganda“, ein technoides Stück Musik, das er mehrfach remixen ließ und für dessen Cover er das Logo der einstigen Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, die zwischen Ende des zweiten Weltkriegs und dem Mauerfall die Regierung in Polen stellte, mit LGBTQ+-Symbolen und –Farben neu dekorierte. Das Stück ist eine Auskopplung aus dem 2021er-Album „Legenda Zygmunta Blask“.

Alles sehr schräg, alles leicht amateurhaft, alles grandios für den Ruhm auf kleinem Raum, bei dem man sich wundert, dass er es in überregionale Medien überhaupt schafft – bis hin dazu, dass seine Alben nach zwölf Jahren wiederveröffentlicht werden. Der Braunschweiger Lokalheld Boris Nowicki alias Greydenz, ebenfalls mit polnischen Wurzeln, kann dazu vermutlich nur grinsen, dabei verdienen „Katzosch“ und besonders die „Nektarine“ doch auch mehr globale Aufmerksamkeit!