Von Onkel Rosebud
Was sich anhört, als ob wir in den Diensten eines noch zu gründenden Wissenschaftszweigs als Probanden herhalten mussten, meine Freundin und ich haben es getan: 48 Stunden mit Superhelden. Am Stück! Das Marvel Cinematic Universe oder „MCU“, wie wir Gefolgsleute es nennen, ist zwar die größte Geldmaschine der Kinogeschichte; doch wir finden das uneingeschränkt gut. Wir hatten alle 23 Comicverfilmungen, die da dazu gehören, bereits gesehen. Manche am Tag ihres Erscheinens im Kino und einige davon sogar mehrfach. Das Privileg, wenn man Kinder hat, ist, dass man selbst wieder Kind sein kann und den pädagogischen Heckmeck drumherum, von wegen ist zu viel Fernsehen schädlich, kriegt man viereckige Augen oder gar schlechte Schulnoten – alles schwarze Pädagogik und sowas von gestern. Marvel-Filme sind genau das, was wir immer schon wollten: feinstes Popcorn-Actionkino, Explosionen, Superhelden und Aliens, Gut schlägt Böse.
Bei unserer Versuchsanordnung hatten wir uns folgendes vorgenommen: Alle 23 Marvel-Filme in inhaltlicher Chronologie nacheinander gucken, nur unterbrochen durch Schlaf- und/oder Toilettenpausen. Kein Vorspulen, keine Erhöhung der Abspielgeschwindigkeit, keine Bedienung der Endgeräte zwischendrin und kein Junkfood dazu.
Frohen Mutes beginnen wir mit Captain America: The First Avenger von 2011 oder Cap, wie wir ihn kumpelig nennen. Die Handlung ist zwischen 1942 und 1945 angelegt. Grob umrissen, geht es um den ultimativen Kampf zwischen einem Helden und einem Superschurken. Ein Muster, damit sei nicht zu viel verraten, das sich in den nächsten Tagen wiederholen wird. Danach folgen Captain Marvel, der zweite Film spielt im Jahr 1995, und Iron Man von 2008 (Handlung 2010). Dinge explodieren, es gibt Prügeleien und noch mehr Schießereien. Der ultimative Bösewicht ist ein Chauvi, sonst alles wie immer. Das Ziel, keine Endgeräte zu verwenden, ist schon Makulatur. So geht der erste Tag dahin und wir fühlen uns, als ob wir sonst was geleistet hätten.
Tag zwei starten wir mit wesentlich weniger Elan. In Avengers, dem siebten Film, handlungsmäßig mittlerweile im Jahr 2012 angekommen, formieren die Superhelden aus den vorherigen Filmen ein All-Star-Team der Gewalt. Dann fliegt Iron Man durch die Luft und liefert sich eine Schlägerei mit dem großen Grünen, die Terence Hill die Freudentränen in die Augen getrieben hätte. Vieles ist vorhersehbar, aber das macht die Filme noch lange nicht schlecht. Das Universum ist angenehm divers, die Gags sind solide, es gibt starke Frauenfiguren. Was ist falsch daran, wenn ein Film unterhält, und nichts weiter? Doch die inhaltliche Chronologie wird zunehmend egal. Bei der Choreografie von Actionszenen sehen wir kaum noch Steigerungspotenzial. Ein echter Lichtblick sind die Guardians Of The Galaxy-Teile. Und so geht der zweite Tag auch irgendwie vorüber.
Am dritten und letzten Tag standen wir gar mächtig unter Druck, da wir tags drauf wieder arbeiten gehen mussten. Noch 7 Filme. Hier und da gibt es sogar die eine oder andere überraschende dramaturgische Wendung. Zudem ist das Zusammenspiel der Figuren mit einem Wahnsinns-Cast perfekt gescriptet. Anthony Hopkins, Tilda Swinton, Natalie Portman. Sogar Robert Redford. Er spielt einen Antagonisten und wirkt dabei arg unterfordert. Der Black Panther tötet seinen Bruder, Thor und Cate Blanchett prügeln sich in einem Regenbogen. Im MCU ist jedes Ende ein neuer Anfang, ein cineastisches Perpetuum Mobile, das alles und jeden wieder hervorspült. Es geht immer weiter und weiter und weiter. Kann man so viel Spaß haben, dass Spaß keinen Spaß mehr macht? Irgendwann klingelt’s an der Wohnungstür. Ist das der unglaubliche Hulk oder der unglaubliche Pizzalieferant?
Dann stirbt, in Avengers: Infinity War, die Hälfte der Belegschaft im Universum. Wir gehören nicht dazu, fühlen uns aber emotional abgeholt. Diese ewige Vergeblichkeit der Dinge, dies unbestechliche Fortschreiten der Zeit, das ja höchstens mit einem grünen Infinity-Stein aufzuhalten ist, den nun aber ein Bösewicht namens Thanos erbeutet hat. Plötzlich ersteht die tote Hälfte allen Lebens in Avengers: Endgame mittels Zeitreisen, Explosionen und Schießereien wieder auf, die wir nicht mehr überblicken. Aber am Ende gewinnen die Guten, auch wenn lange nicht mehr klar ist, wen das einschließt. Wir weinen vor Freude, dass es endlich zu Ende ist, und fallen in einen tiefen Schlaf.
Onkel Rosebud
