Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: The Wicker Man

Von Onkel Rosebud

So wie ich mir jedes Jahr am 18. Mai den Film „Control“ von Anton Corbijn zu Gemüte führe, hat meine Freundin den Tick, immer an Ostern „The Wicker Man“ anzuschauen. Ich habe noch nicht rausgefunden, ob sie das Folk-Horror-Musical für den besten Film aller Zeiten hält oder von der Begeisterung für den jungen, dandyhaften Christopher Lee getrieben wird.

Fakt ist, der vor mehr als einem halben Jahrhundert ins Kino gekommene Film ist zeitlos, hat ein ganzes Genre geprägt und ist immer wieder sehenswert, weil kaltblütig, hochatmosphärisch, skurril, schwarzhumorig, höchst musikalisch, spannend sowie erotisch. Und wurde in Schottland gedreht!

Eigentlich hätte der Film ein Desaster werden müssen. Die Anekdoten rund um seine Entstehung klingen fast so kurios wie die Geschichte, die er erzählt. Als der britische Regisseur Robin Hardy im Herbst 1972 an der schottischen Küste „The Wicker Man“ drehen ließ, ging jede Menge schief. Um den Eindruck zu erwecken, das Geschehen trage sich im Mai zu, mussten zahlreiche Apfelbäume von Hand mit künstlichen weißen Blüten ausgestattet werden. Die Schauspieler sollen in den Pausen auf Eiswürfeln gelutscht haben, damit ihr Atem vor der Kamera nicht in der kalten Luft kondensierte. Von Handgreiflichkeiten am Set ist ebenfalls die Rede.

„The Wicker Man“ taucht in vielen Bestenlisten auf, bevorzugt als bester Horrorfilm. Man täte diesem auf unwegsame Weise geschaffenen Meisterwerk jedoch keinen Gefallen, ihn als Genrearbeit abzutun. Es ist vielmehr ein durch und durch seltsamer Film, der im Zusammenspiel verschiedener gut kombinierter Elemente eine zeitlose Qualität als Klassiker gewinnt.

Entscheidenden Anteil daran hat die Musik und die Echos, die er im Pop hinterlassen hat. Man denke sich zu Beginn die Töne einer sacht gezupften Gitarre, zu denen eine freundlich-warme Männerstimme ein Gedicht des schottischen Dichters Robert Burns singt: „It was upon a Lammas night / When corn rigs are bonnie / Beneath the moon’s unclouded light / I held awhile to Annie“. Dann wäre da noch die eigens für den Film zusammengestellte Band Magnet, die das Geschehen kauzig wie ein antiker Chor kommentiert. Die Heavy-Metal-Band Iron Maiden veröffentlichte im Jahr 2000 den Song „The Wicker Man“. Äußerst gelungen ist auch die Coverversion von „Willow’s Song“, mit der der Pianist Michael Wollny auf dem Album „Ghosts“ aus der musikalischen Begleitung einer Verführungsszene mit Nackttanzeinlage ein stilles Jazzkleinod gezaubert hat.

Die Handlung ist übersichtlich. Inspektor Howie kommt mit dem Auftrag zur Insel Summerisle, um nach einem vermissten Mädchen zu suchen. Ein anonymer Brief hatte ihn von dort erreicht, mit einem Foto der gesuchten Rowan Morrison. Howie beginnt sogleich mit den Ermittlungen, stößt aber auf Desinteresse der Insulaner, die bekennende Heiden sind, der freien Liebe frönen und insgesamt reichlich schrullig wirken. Nackte Mädchen springen übers Lagerfeuer und Lord Summerisle (Christopher Lee) goutiert lakonisch, dass es doch viel riskanter wäre, wenn sie das in ihren Kleidern täten. Das Unbehagen des Zuschauers steigt und steigt mit fortschreitender Laufzeit des Films und am Ende lauert ein äußerst einprägsamstes Ende der Filmgeschichte.

Das Remake „The Wicker Man“ aus 2006 mit Nicolas Cage in der Hauptrolle gilt als gründlich missraten. Robin Hardy versuchte 2011 mit „The Wicker Tree“ eine Fortsetzung, die auch eher mäßig geraten ist. Unerreicht zu sein, ist ein weiteres Merkmal des Films.

„The Wicker Man“ aus dem Jahre 1973 ist einer dieser seltenen Fälle, in den man seinerzeit nicht nur überrascht und geschockt das Kino verlassen hat, sondern auch eine regelmäßige Sichtung von vorne bis hinten einen Genuss darstellt. Eine ikonische Wucht, der meine Freundin verfallen ist und nicht dem Saruman-Darsteller.

Onkel Rosebud