Von Onkel Rosebud (10.05.2023)
Der Herausgeber dieses menschenfreundlichen Blogs, bei dem man was gelernt kriegt, ist der Meinung, dass ich dafür zuständig bin, eine Serie mit dem völlig bescheuerten Titel „Sam – Ein Sachse“ meiner Freundin zwecks Meinungsfindung zu kredenzen.
Habe ich gemacht. Die Mini-Serie (7 Folgen à 45 Minuten von den Machern von „Deutschland 83“) erzählt frei und ohne Anlehnung an reale historische Ereignisse die Lebensgeschichte von Samuel Meffire aus unserer Heimatstadt. Wir mussten sie schauen, weil ich ihn persönlich kennen gelernt habe. Wichtig hier gleich eingangs zu betonen: Vor seiner rechtswidrigen Phase.
Mitte der Neunziger war ich zwei Jahre lang jeden zweiten Samstag DJ im damals angesagtesten LGBT-Klub und Sam stand anfangs am Eingang und sorgte dafür, dass die Faschos draußen blieben. Weil, die wollten wirklich rein. Nicht wegen der Musik. Ich könnte jetzt ausführen, dass diese Schwulen- und Lesben-Partys damals das Beste an hemmungslosem Partyvolk zusammenbrachte, vor dem es mir jemals die Ehre gewesen ist, Vinyls rotieren zu lassen. Die Hose hing nie vor 6 Uhr morgens warm am Bett. Aber hier geht es um den Türsteher.
Sein Ruhm besteht darin, der erste afrodeutsche Polizist schon in der DDR, nach der Wiedervereinigung in Ostdeutschland und aber eigentlich in der ganzen Bundesrepublik gewesen zu sein. 1992 gab es eine Werbekampagne in Sachsen, auf dem sein Konterfei gegen Ausländerfeindlichkeit auf jeder Litfaßsäule mit dem Slogan „Ein Sachse“ prangte. Dazumal war er ein Local Hero. Und natürlich wurde sein Ruf von der Politik instrumentalisiert. Im kollektiven Gedächtnis meiner Generation sind die Ereignisse zwischen dem 17. und 23. September 1991 in Hoyerswerda so schlimm eingebrannt wie die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl.
Samuel Njankouo „Sam“ Meffire, geboren 1970 in Zwenkau, einer Kleinstadt südlich von Leipzig, ist Sohn eines kamerunischen Vaters und einer deutschen Mutter. Sein Vater starb am Tag seiner Geburt. Er verblutete, nachdem er von Neonazis kastriert wurde. Die Serie erzählt, wie es war, als person of colour in Sachsen aufzuwachsen, wie es ihn in die Fänge der Polizei trieb, weil er seine Heimat liebte, wie er die Umstände um seinen Vater nach und nach rausfand und warum er die ihm angeborene Aggressivität gegen Nazis auch deshalb nie ablegen konnte, bis er auch deswegen, aber nicht nur, kriminell wurde und ins Gefängnis kam. Sinnbildlich geht es um Heimat und Identität. Sam wurde als Ausländer stigmatisiert, obwohl er durch und durch ein Sachse war. Deshalb stimmt auch der beknackte Serientitel.
„Sam – Ein Sachse“ ist die erste deutsche Serie, die als disney+-Original auf dem gleichnamigen Streamingportal erschienen ist. An sich großartig, aber unterm Strich nur bedingt sehenswert, es sei denn, man hat ihn persönlich kennengelernt… Die später in die Handlung unvermeidlich eingewobenen Lovestorys, der Einblick in die bourgeoise Community der Afrodeutschen Anfang der 90er im Osten und der Ausflug in den Kongo zur Selbstfindung sind stereotyp und langweilig.
Was macht Samuel Meffire eigentlich heute? Das zeigt die Serie nicht. Nach seiner Haftentlassung war er jahrelang für verschiedene erlebnispädagogische Maßnahmen mit straffälligen Jugendlichen tätig. Er veröffentlichte eine Krimireihe und arbeitet als Coach für Gefahrenlagen im öffentlich-rechtlichen Bereich. Er scheint es geschafft zu haben…
Onkel Rosebud