Von Onkel Rosebud
Zuweilen etwas unappetitliche Gewalt im Stream macht meiner Freundin nichts aus, auch wenn sie mit Mozart unterlegt ist, zu mindestens solange es nicht das Konzert in A-Dur KV 622 für Klarinette und Orchester ist. Aber die Serie „Gangs Of London“ war ihr dann doch zu heftig, um zwei Folgen nacheinander vor dem Einschlafen zu sehen. Denn sie ist ein garstigster Meilenstein der Brutalität, eine Schlachtemetz-Orgie, ein grimmiger Folterkeller an Unterhaltung, aber brillant inszeniert, mit ausgesprochen ausgefeilten Kampf-Choreographien. Die Handlung ist eigentlich nicht wichtig. Ein Gangster-Epos wie 4Blockx, nur dreimal potenziert, und Spielort ist London, das neue Gotham. Viel geredet wird eh nicht. Dafür gibt es eine weltrekordverdächtige Anzahl an WtF-Momenten.
Showrunner der Serie ist Gareth Evans, ein walisischer Martial-Arts-Fan mit Wahlheimat Indonesien. Er macht immer alles selbst: Regie, Drehbuch, Schnitt, genau wie in „The Raid” (2011) und „The Raid 2“ (2014), einem Film, der ganz oben im Action-Olymp wohnt, quasi ein südostasiatischer Terminator 2.
Der absolute Höhepunkt von „Gangs Of London“ ist Episode 6 („Rachedurst“) aus Staffel 2, ein atemberaubender filmischer Nervenkitzel. Ohne zu spoilern, kann ich klar konstatieren, wieso: Einerseits bietet die Folge die geringste Menge an Action in der Serie. Jedoch, sobald sich die Erzählung in einen Fieberpegel steigert, treten knallharte Kampfsequenzen in eleganter Kameraführung auf den Plan. Andererseits bekommt ein Charakter viel Platz und der wird vorgetragen von Narges Rashidi, einer iranischstämmigen Schauspielerin, die in Bad Hersfeld aufgewachsen ist. Glaubt mir, ich bin ein mit allen Wassern gewaschener Seriengucker, doch sowas habe ich wirklich sehr selten gesehen. Ihre Darstellung ist von einer unerbittlichen Rücksichtslosigkeit, brutal und unnachgiebig. Sie macht das bemerkenswert fesselnd, reißt einen in ihre Szenen hinein und lässt einen nicht mehr los. Alles, was ihr Charakter fühlt, während sie um ihr Leben kämpft, körperliche und emotionale Arbeit, kann man als Zuschauer*in mitfühlen. Ein unbezwingbarer Geist ist hier in voller Form. Das Wort „unerbittlich“ wurde extra dafür erfunden.
Untermalt wird diese Epic von Mozarts Lacrimosa, Requiem in D-Moll (KV626) aus dem Jahr 1791, seine letzte Arbeit, die in eine üppige Mythenbildung verwickelt ist. Kein anderes Werk der klassischen Musik ist dermaßen von düsteren Legenden umwoben und mit Mozarts Sterbeumständen verbunden. Das hier jetzt auszubreiten, würde die Lesezeit des Textes verdoppeln und wäre irgendwie auch langweilig. Es ist aber ein guter Grund, Miloš Formans Film „Amadeus“ von 1984 aus dem Videokassettenregal zu ziehen. Ein toller Film – meint auch meine Freundin.
Onkel Rosebud