Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: Kameradenerziehung wie in der Nationalen Volksarmee – die Serie „Evil“

Von Onkel Rosebud

Sobald am Serienhorizont ein Cumulus aufzieht, der „Harry Potter“-Internatsromantik jenseits von Hanni und Nanni verspricht, klopft meine Freundin vorsorglich das Sofakissen für einen Binge auf. In diesem Fall hat das Remake von Mikael Håfströms Kinofilm „Evil“ aus dem Jahr 2003 ihre Aufmerksamkeit geweckt. Aber schnell wandelte sich die Schönwetterwolke aus Serienform in einen ausgewachsenen Nimbostratus. Die Handlung beginnt mit einer Prügelei: Ein Halbstarker aus Stockholm, Erik Ponti, schlägt einen Klassenkameraden blutig.

Sodann fliegt besagter Erik von der Schule und erhält in einem todschicken Internat die letzte Chance, sofern er nie mehr die Fäuste erhebt. Fatalerweise hat die Gewalt dort aber ihren Platz. Die Lehrer überlassen die Erziehung den ältesten Schülern, und die bestrafen im Rahmen der „Kameradenerziehung“ bereits kleinste Vergehen mit drakonischen Züchtigungen, von willkürlicher Schikane gar nicht zu reden. Die Nationale Volksarmee der DDR lässt grüßen. Aus Erik, dem Täter, wird Erik, das Opfer. An der Spitze der Hackordnung steht der Schülerrat, angeführt vom Schreckensherrscher Otto Silverhielm, dem sich nichts und niemand in den Weg stellen kann. Der Rest muss Regeln folgen, die nach Belieben erfunden und außer Kraft gesetzt werden können.

Internatsromantik mit Happy End existiert in dieser Serie nicht. Es geht um die teuflische Mechanik der Gewalt, die Gegengewalt auslöst. Um die Auseinandersetzung mit der Natur des Bösen. Woher kommt es? Was macht einen Menschen böse? Was Erik schon kennt. Sein Vater Åke ist ein sadistischer Säufer. Er schlägt vor dem Zubettgehen noch gern mit der Hundeleine auf seinen Sohn ein und terrorisiert seine Frau. Funfact: Der Stiefvater wird von Gustaf Skarsgård gespielt, der im Film noch Otto verkörperte.

Film und Serie basieren auf dem Roman „Das Böse“ von Jan Guillou aus dem Jahr 1981. Es spielt im Schweden der späten Fünfzigerjahre, das politisch von Sozialdemokraten regiert wurde, aber die konservative Elite verteidigte weiter das Gestern. Nicht von ungefähr gab es im Film eine Geschichtsstunde zum Thema Rassen und Gesichtsformen. In der Serie wurde daraus eine Englischstunde zu „anständiger“ Literatur. Das Vorbild des Internats, „Solbacka läroverk“ in Stjärnhov südwestlich von Stockholm, wurde im Übrigen 1973 geschlossen. Ursächlich dafür soll vor allem eine 1966 veröffentlichte Reportage des ehemaligen Schülers Jan Guillou gewesen sein.

Vieles ist allerdings auch zeitlos gültig und über Kulturgrenzen hinweg: das Männerbündische, das „Evil“ beschreibt und den Umgang solcher Männer mit Frauen nicht außer Acht lässt; die Gruppendynamik, die es seziert, die Hoffnung darauf, dass das scharfe Schwert des Rechts den ewigen Teufelskreis der Gewalt durchbrechen könnte. Wenn man es findet.

Onkel Rosebud.