Von Onkel Rosebud
In dem Text über Haruki Murakami aus dem Januar 2025 habe ich erwähnt, dass der andere Japaner, der meiner Freundin die gepflegte Daseinsbewältigung und die Faszination für den Kulturkreis vermittelt hat, Hayao Miyazaki, der kreative Kopf von Studio Ghibli, ist. 1985 gründeten er und seine Kumpels, einer davon Isao Takahata, mit dem Geld, das sie als Zeichner mit den Filmen „Das letzte Einhorn“ und „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ verdient hatten, das Zeichentrickstudio Ghibli. Der Name steht für einen heißen Sahara-Wüstenwind und sollte deutlich machen, dass sie frischen Wind in die japanische Anime-Industrie bringen wollten. Das gelang, dauerte aber 15 Jahre und führte u.a. über filmische Stationen wie „Das Schloss im Himmel“, „Mein Nachbar Totoro“ mit der legendären Buskatze und „Kikis kleiner Lieferservice“, bis „Chihiros Reise ins Zauberland“ rauskam, womit deren internationale Karriere so richtig durch die Decke ging.
Chihiro ist der beste Animationsfilm aller Zeiten, ein komplexes Märchen um ein zehnjähriges Mädchen, das in einer Fantasiewelt verloren geht. Als absoluter Kultmoment in unserer Familie gilt die Szene gleich am Anfang, in der sich Chihiros Eltern beim Essen in Schweine verwandeln. Es folgten „Prinzessin Mononoke“ und zahlreiche Lang- und Kurzfilme sowie mit „Ronja Räubertochter“ eine Serie, bis 2024 mit „Der Junge und der Reiher“ der letzte Film von Miyazaki in die Kinos kam. Ein Jahr vorher wurde Studio Ghibli an einen japanischen Multimediakonzern verkauft.
Während bei Disney oft die Guten gegen die Bösen kämpfen, ist die Welt bei Ghibli komplexer. Und übertrifft deshalb selbst Pixar darin, perfekte Kinderfilme für Erwachsene zu inszenieren. Die Filme von Studio Ghibli strotzen nur so vor kleinen Details, sodass auch das Fantastische real wirkt. Sie zeigen so oft, dass Erwachsene ihre Kinder ernst nehmen und ihnen Raum zur Entfaltung geben. Wo Eltern in anderen Kinderfilmen entweder idealisiert oder distanziert sind, hat man es bei Ghibli-Filmen mit echten Menschen zu tun, die Fehler machen und kleine Eigenheiten haben. So können Kinder hier ihre eigenen Eltern erkennen, und Eltern sich selbst. Dass sich Miyazakis Filme oft auf die Arbeitswelt fokussieren, hat mit Sicherheit auch etwas mit der sehr arbeitszentrierten japanischen Kultur zu tun. Dieser Teil der Realität wird nicht ausgeblendet, egal wie fantastisch ihr Setting auch sein mag, und das trägt dazu bei, dass sich die Filme so echt anfühlen. Außerdem tauchen immer wieder moralische Fragen auf, die gar nicht so leicht zu beantworten sind, und im Gegensatz zu Disney spielen meist Frauen die Hauptrollen.
„Der Junge und der Reiher“ ist ein Vermächtnis. Das kann man sehr schön nachfühlen in der Dokumentation „Hayao Miyazaki und der Reiher“.Dem dünnen Herr Miyazaki fiel es sichtlich schwer, sich für seinen letzten Film aufzuraffen. Die Fertigstellung dauerte fünf Jahre. Mal starben liebgewonnene Zeitgenossen wie Takahata und hielten ihn von der Arbeit ab, mal war er mit dem eigenen kreativen Output nicht zufrieden. Oft war er einfach müde, fühlte sich alt und wollte lieber eine rauchen. Was dann am Ende rausgekommen ist, er gewann natürlich einen Oscar, aber davon abgesehen, reihte es sich ein in den Kanon all‘ dieser fantastischen, qualitativ hochwertigen Anime-Machwerke, die meine Freundin empfiehlt, anzuschauen.
Onkel Rosebud