Von Onkel Rosebud
Mein Sohn fragte mich neulich, wenn ich nur eine TV-Serie mit auf eine einsame Insel nehmen könnte, welche das wäre? Ich überlegte kurz und reiflich und entschied mich für „Die Simpsons“. Gute Wahl, fand er. In mehr als 30 Jahren wurden bisher über 734 Episoden in 34 Staffeln ausgestrahlt. Das verspräche die maximale Dauer an niveauvoll-subversiver Unterhaltung.
Nur eine Serie hält bisher länger durch, die Darts-Weltmeisterschaft gibt es seit 1977 und geht deshalb im Jahr 2022 – egal von welcher Organisation veranstaltet – in die 45. Staffel. Wir, also meine Familie bestehend aus Vater, Mutter, Kind, sind seit 2007 dabei und wir kennen nur die Versionen der Staffel, die immer zwischen Weihnachten und Neujahr im Ally Pally (Alexandra Pallace, London) von der Professional Darts Corporation (PDC) ausgetragen und bei sport1 übertragen und anfangs von Elmar Paulcke und Thomas „Shorty Schleifstein“ Seyler kommentiert wurde. Die beiden wurden 2018 von Basti Schwele mit wechselnden Co-Kommentatoren abgelöst. Die Kommentatoren sind in sofern wichtig, weil sie alle es geschafft haben und bis heute schaffen, enthusiastisch und glaubwürdig eine Freizeit-Tätigkeit als Sport professionell zu vermitteln, die für den alten, hässlichen weißen Mann im betrunkenen Zustand wie gemacht ist.
Dass unsere familiäre Defloration für Darts und die bis heute anhaltende Faszination ausgerechnet 2007 vollzogen wurde, hat viel mit der Dramaturgie des ersten Mals zu tun. Der damals an Nummer 32 gesetzte Niederländer Raymond van Barneveld, mit dem wohlwollenden Fanclub namens „Barny’s Army“ im Rücken, gewann das Turnier, als er im Finale den Rekordweltmeister und Titelverteidiger Phil Taylor („There’s only one Phil Taylor“) aus Newcastle/England mit 7:6 Sätzen durch ein Sudden Death-Leg, quasi per „golden goal“, bezwang. Das war spannend und spektakulär und nötigte uns, eine Darts-Turnier-Scheibe im Wohnzimmer aufzuhängen, die seitdem regelmäßig zwischen den Jahren malträtiert wird.
Im Laufe der Jahre haben wir diverse Protagonisten des Darts-Zirkus‘ ins Herz geschlossen. Da wäre zum Beispiel James „The Machine“ Wade. Er läuft ein zu „The Boys Are Back In Town“ von Thin Lizzy. Das ist aber nicht der Grund. Er ist ein trockener Alkoholiker, hat einen Selbstmordversuch hinter sich und gilt heute als der erfolgreichste Dartprofi, ohne jemals Weltmeister geworden zu sein. Oder Gary „The Flying Scotsman“ Anderson (House Of Pain „Jump Around”). Er ist der John Cleese des Darts. Legendär sind seine übellaunigen Interviews nach einem verpatzten Match. Und natürlich Peter „Snakebite“ Wright. Auch Schotte. Seine Markenzeichen sind seine von seiner Frau auffällig gefärbten Haare in Form eines Irokesenschnitts und die dazu passende Kleidung, die er ständig wechselt, sowie seine Art, zu seinem Einlaufsong, „Don’t Stop The Party“ von Pitbull, die Bühne entlangzuspringen und zu tanzen.
Aber viel leichter fällt es uns, diverse Pfeile werfende Sportskanonen in dem mittlerweile vom Kommerz vereinnahmenden Pub-Event scheiße zu finden. Im Mittelpunkt steht dabei MvG – Michael „Mighty Mike“ van Gerwen (The White Stripes „Seven Nation Army“), nach Phil Taylor der zweiterfolgreichste Spieler der PDC-Geschichte, ein arroganter Fatzke. Und die Liste unserer Lieblings-Antagonisten ist lang. Mensur Sulovic, Danny Noppert, Simon Whitlock … Es ist aber nicht der Rede wert, hier auf die Einzelheiten unserer Antipathie einzugehen, weil wir sind hier nicht auf Facebook oder Twitter.
Fakt ist, wer einmal selbst mit „Tops“ ausgecheckt oder von einem Shanghai-Finish geträumt, einen „Neundarter“ vor laufender Kamera erlebt hat, dem wird der Ally Pally als Wallfahrts-Ort der Sehnsucht nach einem Vulkan voller ausbrechender Mittelmäßigkeit verinnerlicht sein. Bald ist es wieder soweit. Die Vorfreude ist wie für Weihnachten.
Sohnemann hat für die einsame Insel übrigens die Serie „Avatar – Herr der Elemente“ nominiert. Das ist dann wieder eine andere Geschichte…
Onkel „Blue Arrow“ Rosebud (Metallica „Master Of Puppets”)