Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Wah-Wah Hawkwind

Von Onkel Rosebud

„1001 Albums You Must Hear Before You Die“ ist eine musikalische Anthologie in Buchform, die chronologisch die angeblich besten Platten zwischen 1955 und 2005 behandelt. Meine Freundin warf neulich einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis und wandte sich mit dem Hinweis gelangweilt ab: „Du immer mit Deinen Listen“. Ja, ich liebe Listen. In dem Fall danke ich dem Herausgeber, Robert Dimery, weil ohne die „1001 Albums…“ hätte ich als Spätgeborener nicht von der Existenz der Band Hawkwind und insbesondere von deren Longplayer „Space Ritual“ (1973) erfahren, einer der größten Versuche des Rock’n‘Roll, sich mit dem Rest des Universums zu verbinden.

Man sagt, die Zeit zwischen „2001: Odyssee im Weltraum“ und „Krieg der Sterne“ sei die düsterste Zeit der Science-Fiction gewesen. Die unheilvolle Albernheit von Fernsehserien wie „The Tripods“ und dystopische Filme mit unglücklichem Ende wie „Soylent Green“ dämpften den Optimismus nach einer besseren Zukunft jenseits der Apokalypse. Aber es war ein goldenes Zeitalter für Sci-Fi in der Popmusik: Zwischen der ungezügelten Kreativität von Sun Ras Philadelphia-Jahren, der Entwicklung von Parliaments intergalaktischem Mythos und David Bowie, der einfach nur David Bowie war, gab es viele Künstler, die etwas Vielversprechendes außerhalb der Grenzen der Erde sahen. Und kaum eine andere Band hat diese astronomische „Mein-Gott-es-ist-voller-Sterne“-Mystik in ihrer Musik so eingefangen wie Hawkwind.

„Space Ritual“ wurde im Dezember 1972 auf zwei separaten Konzerten in London und Liverpool aufgenommen und von der Plattenfirma mit dem urkomischen Slogan „88 Minuten Hirnschaden“ beworben. Der druckvolle, gewalttätige Lärm der Wah-Wah-getränkten Gitarren-Riffs, das Maschinengewehr-Schlagzeug, die Saxophonausbrüche und vor allem die unaufhörliche dynamische Kraft des erst ein Jahr vor der Aufnahme des Albums zum Bassisten bekehrten Lemmy Kilmister machen dem Werbespruch alle Ehre. Wobei Intensität vor Können gewinnt. Die Texte zur Musik sind inspiriert vom Science-Fiction-Autor Michael Moorcock und werden in Spoken-Word-Passagen vom Dichter Robert Calvert vorgetragen. Dabei geht es inhaltlich um interstellare Reisen, Metaphysik und Pythagoras‘ Theorie der himmlisch-mathematischen „Sphärenmusik“.

Obwohl es eine gewisse Hingabe erfordert, dieses Album in seiner Gesamtheit durchzuhören, auch wenn keine Drogen zur Hand sind, funktioniert „Space Ritual“ sogar als Hintergrundmusik.

Von Michael Moorcock (*1939) sind viele besorgte Quotes zur Lage der Nation und zu sich selbst überliefert. Kostprobe: “I think of myself as a bad writer with big ideas, but I’d rather be that than a big writer with bad ideas.” (aus „Elric: The Stealer Of Souls“, zuerst erschienen 1961 im Magazin „Science Fantasy“ No. 47)

Onkel Rosebud