Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: One evening, when I was still living

Von Onkel Rosebud / Uli Wirth

Das situative Arrangement: der Schreibtisch bedeckt. Poetae Latini Medii Aevi, Tomus 5, Fasc. 3. Hier Kopien (= Arbeit), dorten Opas Rotationsascher, vollbeschäftigt, auf Zuruf lustig piruettierend. Irgendwie die perfekte Symbiose aus Arbeit und Vergnügen. Bleistifte aller Härten und Geschmacksrichtungen, Unmengen an Papier und Schokolade, ein Gläschen Wein: eben alles, was zum Gelingen von universärer Heimarbeit beizutragen vermag.

Fehlt noch ein wenig Musik, die aber schnell gefunden ist: Meine Plattensammlung und ihr chronologisches Ordnungsprinzip! Wähle ein Exemplar meines Geburtsjahrgangs aus: I Wanna Be Your Dog, der richtige Song für die tägliche Fron, sofern man sich auf den Refrain bezieht.

Vor der Tür oder dahinter: Meine eine Mitbewohnerin kotzt Tonleitern in die Stille ihres Zimmers. Ebenso unser Haustier (in ihrem Gartenanteil). Wahrscheinlich haben beide wieder etwas Gras gefressen. Ich denke nach, das heißt, ich versuche im Geiste meine Tagesordnungspunkte abzuklappern. Es ist die Musik, die mich ablenkt. I’m ready to close my eyes. Soll ich nachgeben? Hab‘ ich überhaupt eine Wahl? Nicht wirklich. I am ready to close my mind. Schweife umher, schweife ab, reibe mich an Unbewältigtem. Bauz! Zwangsläufig setzt der Stimmungswechsel ein. Es ist aber nicht so, daß ich das nicht gewollt hätte, denn ich habe Leiden kultiviert. Also dann: Fertig machen zum Leiden. I am ready to feel your hand. Aber da ist keine Hand außer meiner eigenen, die hektisch ab-ascht. So messed up I want you here. Es wirkt. Voilà, willkommen im Traumland:

Vor einem meiner inneren Augen: sie mit vorgeschobener Unterlippe. Hörbares Ausatmen. Wieder das Stillleben mit Unterlippe. Es kommt zu ersten … Zaghaftigkeiten, denn: ez sol ein man mit fremden frouwen niht ze vil gezecken. Ein umstrittener Gedanke zur falschen Zeit. (Fellatio geht über Ratio!) Dann, vorbei an der Unterlippe, sie direkt in mein Gesicht: „Du!“ Ich, vollkommen überfordert ob dieser Irritation, verlange nach einer Auszeit: „Plattenwechsel!“ Also runter vom Hochbett und an das Plattenregal. Etwas Passendes vielleicht. „Nein, nicht schon wieder Stoppok.“ In Gedanken … alle Platten … durchgescannt. Ihre Hände. Handlanger. Rausnehmen. Auflegen. „Och, Sonic Youth, dat hab‘ ich ja schon ewich nich mehr gehört“. Von wegen Sonic Youth, Stooges. Die Handlanger aufgelegt! Ich bin gnädig ob ihres faux-pas, lasse mir aber nichts anmerken. In my room I want you near. Die Leiter wieder hoch und sofort meinen Kopf in ihren Schoß gelegt. As I lay right down in my favourite place. Ihre beiden Hände erfolgreich abgelenkt, weggelockt und schließlich anderweitig, nämlich auf mir positioniert. Meine eigenen Lippen an ihrem Ohr, von dort à rebours über eine der Brauen. Now we’re gonna be face to face. Wie passend. Nasenspiel mit einem ihrer Mundwinkel, die weder spöttisch, noch sonst wie verzogen sind. Ein flüchtiger Kuss. Was sonst noch geschah? Wir erkannten uns nicht, auf später vertagt. Musste gleich mehrmals duschen.

Ich nachmittags: kleines kulturelles Intermezzo in der Basilika. Anwesenheit im Interesse des Haussegens. Meine andere Mitbewohnerin, die, die singen kann, hat heute ihr Konzert. Bach. Die Stille der Welt von Bach. Wie sie die Zeit bis nachts vergeudet hat, weiß ich nicht.

Später. (Endlich?) Um Mitternacht: brachten wir lugatinus und seiner Crew Trank- und Rauchopfer dar. Hätte es einen Gott der Chlamydien, eine Venus der Hepatitis B, einen luppiter Herplex Simplex gegeben, wir hätten auch ihnen opfern müssen. Beischlaf zwischen Menschen mit humanistischer Bildung. Und dazu wieder Iggy Pop, wie sinnig, das. Nacht und schmutzig steckten wir unter einer Decke. I’m ready to close my eyes. „Was ist?“, an der Zigarette ziehend.

Morgens auf mittags verschoben: verhindertes Existentialisten-Frühstück – die Zeitung fehlte. Ich etwas anhänglich. Sie „Ich muß ins Hotel.“ Well come on. Also dort abgesetzt. Ich wieder nach Hause. Der CD-Player hat eine Repeat-Funktion. I’m ready to close my mind usf. Wuff! Wir sahen uns dann noch kurz. Alles weitere per Post.

Ich: „Liebe C! Im 2ten Stock meines Zimmers lebt Dein eigentümlicher Duft in den Kissen, Trésor und Bodylotion gepaart mit Zigaretten. Ich weigere mich beharrlich, zu lüften. Erste Anzeichen von Verflüchtigung – Einfachverglasung – haben sich jedoch schon angekündigt. Sehn wir uns daher schnell wieder. Der Deine“ usw.

Postwendend sie: „punktpunktpunkt aber seit meinem Provinzaufenthalt bei dir halte ich es hier in E. nur ganz schlecht aus punktpunktpunkt Dauergrinsen punktpunktpunkt es dir mindestens genauso geht wie mir punktpunktpunkt wehmütig punktpunktpunkt du siehst, ich denke an dich, C.“ And lose my heart on the burning sand …

Zwischen Karwoche und Mai: hartnäckigste Blasenentzündung ever. Feel the pain. Karwoche, oh letztes, anstrengendes Glück, fast wie weiland beim Heiland. Life shows no mercy. Die Zeit zwischen Blasentee und der Zuban 66 danach und davor: en vogue. Als Ausdruck meines Glücks nun eine Leerzeile. Es gibt die Semantik des Schweigens:

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Das Ende ist relativ schnell erzählt. Nach Wochen sie wieder bei mir. In der Nacht: „Percute me.“ – „Fragezeichen –“ „Nachklassisch!“ „Ähh Moment.“ Wie gut, daß ich beim Rendezvous mit C stets mein lateinisches Handwörterbuch dabeihatte. Aber jetzt war ich nackt und so wälzte ich das Große Schulwörterbuch, das sich in Armweite befand, direkt neben der Packung mit den Kondomen. Ach so. „Ach so“. Verlangt getan.

Dann des morgens: „Ich glaube, wir haben verschiedene Erwartungshaltungen etc. pp“. Und mich ob meiner Lateinkenntnisse verhöhnt. Ich frage mich heute noch, was mir mehr zugesetzt hat. Gegen das Standbein gepinkelt. Feel the pain.

„Schluß.“ Ende ausmaus. Mein Selbstbewußtsein war zum wiederholten Mal für mehrere Tage angekratzt. So konnte ich mich wieder mal bedauern, eine alte Postkarte in der Hand, die einen zerfetzten Baum zeigt. Frühling 1919: „All what remains of FLEURY.“

Nachhaltig atmen. Glas abstellen. „Oh Mist!“ CD rrrrrrrraus. Radio an, Hüsker Düs „I Will Never Forget You” käme jetzt ganz gut. Stattdessen bilde ich mir ein, dieses hier zu hören: Never Talking To You Again. Aber es war wohl doch nur was von Crowded House. Und dann geht es einfach weiter mit dem nächsten Tagesordnungspunkt. Das situative Arrangement: der Schreibtisch. Immer noch bedeckt. Poetae Latini Medii Aevi. Tomus 5, Fasc. 3. Wie mein Himmel.

P.S.: Dieser Text erschien zuerst im Buch „Various Artists – Ich Liebe Musik“ (1999, notschriften Verlag) und wurde von Uli Wirth über den Song „I Wanna Be Your Dog“ von The Stooges geschrieben.