Von Onkel Rosebud
Ungelogen, mit einem Text über das Musical bzw. den Film „Linie 1“ quäle ich mich schon eine Ewigkeit. Dabei will ich nur loswerden, wie toll ich den damals fand, und ein bisschen Erinnerungssport betreiben, damit dieses Kulturgut nicht in der Versenkung verschwindet.
Verfilmungen von Musicals sind ja so eine Sache. Auch wenn der Gedanke naheliegt, die Popularität solcher Bühnenspektakel ins Kino übertragen zu wollen, die Ergebnisse fallen doch sehr gemischt aus. Manche werden zu Hits, wie „Les Misérables“. Am anderen Ende des Spektrums findet sich das groteske Debakel „Cats“. Dazwischen tummeln sich zahlreiche Filme, die schnell in Vergessenheit geraten sind. Vor allem Werke, die nicht mit dem Broadway in Verbindung gebracht werden, tun sich zuweilen schwer damit, ein größeres Publikum anzusprechen. Allein deshalb schon war es bemerkenswert, dass „Linie 1“ 1988 in die Kinos kam – auch in der DDR (aber erst im Mai 1989).
Der Film ist vor allem wegen der Schauplätze sehenswert: in Bahnen und Bahnhöfen. Einige Lieder, wie „Du sitzt mir gegenüber“ oder die „Wilmersdorfer Witwen“, sind unbedingte Evergreens, vor allem aber „Der Anmacher“. A-Hip-hip-a-hippel-die-hip-hip. Alleinsein, Wein und Bier. Überhaupt ist Dieter Landuris als Figur Bambi eine absolute Offenbarung. Der ausgebildete Balletttänzer, Schauspiel-, Amerikanistik- und Architektur-Student hat so ziemlich jedes Filmprojekt, in dem er mitgewirkt hat, bereichert, und hätte es mehr als verdient, eine Karriere à la Christoph Waltz einzuschlagen. Doch leider ist seine Lebensweg hauptsächlich im Öffentlich-Rechtlichen hängen geblieben, bei SOKO sonstwo, Polizeiruf oder Unser Lehrer Doktor Spatz. Und unglücklicherweise war er viel zu selten so zu sehen, wie in den Filmen „23 – Nichts ist so wie es scheint“ oder „Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit“.
Zu etwas Besonderem macht es „Linie 1“ auch, in der damals noch geteilten Metropole unterwegs zu sein, die unterschiedlichsten Leute zu treffen und von ihren Schicksalen zu erfahren. Eigentlich ist es ein Roadmovie, weil es nicht darum geht, an einem bestimmten Ort anzukommen. Der Film lebt von den zahlreichen Einzelmomenten, bei denen die verschiedensten Menschen vorkommen. Manche sind skurril bis überzeichnet, andere sind schlichtweg normal.
Dass der Film genau genommen keine Geschichte erzählt, ist gar nicht schlimm. Ein notdürftig gezimmerter Rahmen hält die Nummern zusammen. Eine Bühnenvorlage eben. Wer das ähnlich sieht und die Showeinlagen sehen möchte, der kann die mittlerweile verfügbare, restaurierte Fassung zum Anlass nehmen, um noch mal ein Ticket zu lösen. Das interessante und nostalgisch stimmende Setting ist auch mehr als vierzig Jahre später für eine ganz eigene, reizvolle Atmosphäre gut.
Onkel Rosebud