Von Onkel Rosebud
Was haben die Bands Tokio Hotel, Sixto Rodríguez und Fra Lippo Lippi gemeinsam? Sie haben, von ihrem jeweiligen Heimatland aus gesehen, an einem ganz anderen Ende der Welt Kultstatus. Die Loitscher Jungs in Japan, Sixto Rodríguez aus Detroit in Südafrika (der dazugehörige Film „Searching For Sugar Man“ ist eine unbedingte Guckempfehlung) und Fra Lippo Lippi aus Nesodden, Norwegen, auf den Philippinen.
Mit letzteren hatte ich neulich ein Erlebnis der besonderen Art: Ich konnte mich selbst überraschen, weil ich von der Existenz der Band bis dahin keinen Schimmer hatte. Deren Debutalbum „In Silence“ aus dem Jahr 1981 wurde aus Gründen, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, in meine Aufmerksamkeit gespült. Es hat mich schlichtweg umgehauen, weil es so klingt, als ob Ian Curtis sich doch nicht am 18. Mai 1980 in seiner Küche in Macclesfield aufgehangen hat, sondern mit Joy Division ein drittes, akustisches Album nachgelegte.
Zur Erinnerung: Joy Division waren das größte Versprechen der Musikgeschichte meiner Generation, die Über-Post-Punk Band, ohne die nachfolgende Entwicklungen in Pop, Rock, Wave und Metal undenkbar wären. Und das vor allem wegen Curtis, der den depressiven Charakter der Musik, die Joy Division unverwechselbar macht, mit seinem Gesang maßgeblich prägte.
Rune Kristoffersen und Morten Sjøberg, die Keimzelle von Fra Lippo Lippi, leben noch. Nachdem sich selbst auf den Philippinen keiner mehr für die Band interessierte, wurde Kristoffersen Grundschullehrer und betreibt heute ein Plattenlabel. Sjøberg hat 77 Follower auf Instagram. Die Geschichte von Fra Lippo Lippi, die sich nach dem gleichnamigen italienischen Maler aus dem 15. Jahrhundert benannten, gibt aber genug Stoff her, um eine Netflix-Serie daraus zu machen. Mit dem zweiten Album „Small Mercies“ (1983), das mit dem Sänger Per Øystein Sørensen immer noch ziemlich Joy-Division-lastig gelang, wurden sie in den Niederlanden und Belgien berühmt. Aber dann entdeckten sie das Klavier und damit einen heiteren, pop-orientierten Sound. Beliebigkeit machte sich breit. Von der dritten Platte „Songs“ (1985) verkauften sie 5.000 Exemplare in Norwegen und Virgin Records nahm sie unter Vertrag, wegen dem Single-Hit „Shouldn’t Have To Be Like That“: Platz 29 in den Niederlanden und Platz 81 in Großbritannien sprechen für sich.
Alle Zeichen standen auf kommerziellen Durchbruch, als Walter Becker von Steely Dan das Nachfolgealbum „Light And Shade“ (1987) in Los Angeles produzierte. Das floppte und Virgin ließ die Band fallen. Um finanziell zu überleben, entschieden Kristoffersen und Sjøberg, sich auf Live-Auftritte zu konzentrieren. 1988 führte das zu einer Tournee auf den Philippinen. In Manila waren ihre Konzerte an zwei Wochenenden sechsmal ausverkauft. Ein Live-Album mit dem Titel „Crash Of Light“ wurde 1990 nur dort veröffentlicht und die Band verlegte ihren Lebensmittelpunkt an den westlichen Pazifischen Ozean. Den Song „Stitches And Burns“ vom selbstproduzierten Album „Dreams“ (1992) konnte damals in Philippinen jeder Grundschüler mitpfeifen. Mangels kreativen Outputs wurde es nun ruhig um Fra Lippo Lippi, aber ein Reunion-Konzert in Manila im Jahr 2000 zog 15.000 Zuschauer an.
Sørensen hielt am längsten durch. Die erste Single seines Soloalbums „Later“ (2,5 Millionen Aufrufe auf ytb) wurde auf den Philippinen noch vor der Veröffentlichung des Albums „Brilliant White“ (2002) ein Hit, weshalb EMI Philippines beschloss, ein komplettes Album damit zu produzieren. Das floppte auch und die nicht vorhandene Kaufkraft der Pilipinas beendete den Ausflug der Norweger zurück in das beschauliche Nesodden.
Und die Moral von der Geschicht? Netflix oder wer auch immer soll mich gefälligst als Showrunner für das längst überfällige Mockumentary über Kristoffersen und Sjøberg engagieren. Arbeitstitel: „Fra Lippo Lippi 1406 bis 1469 und 1981 bis 2002“.
Onkel Rosebud