Von Matthias Bosenick (29.05.2014)
Das ist wirklich mal weitgehend außergewöhnlich: Regisseur Jørgen Leth erzählt vor sich hin, dazu machen Mikael Simpson und Frithjof Toksvig Musik, zumeist elektronisch, stets reduziert. Das ist kein Rap, das ist kein Ambient, das ist auch kein Hörbuch. Es klingt vielmehr wie eine experimentelle Reportage. Wenn man nur Dänisch verstünde.
Immerhin: Der Bandname, der im Übrigen auf diesem dritten gemeinsamen Album nirgendwo steht, was womöglich daran liegt, dass das Trio seine Alben unter den Namen der Beteiligten veröffentlicht und sich „Vi sidder bare her“ als Titel des ersten gemeinsamen Werkes im Volksmund als Bandname durchsetzte, heißt so viel wie „Wir sitzen hier nur so herum“, der Albumtitel lautet „Keine Rechnung für mich“. Am Tonfall lässt sich nicht erahnen, was Leth erzählt, ob er Geschichten fabuliert, von sich selbst spricht, etwas beobachtet, politisiert, ob er gut gelaunt ist, vielleicht deprimiert – letzteres zumindest ist etwas, was man als Halbwissender ahnen könnte, denn dem deutschen Publikum ist Leth bestenfalls dank Lars von Triers Film „The Five Obstructions“ bekannt.
Vor elf Jahren zwang von Trier, selbst depressiv, den noch depressiveren Leth dazu, seinen Kult-Kurzfilm „Det perfekte menneske“ von 1967 nach Vorgaben von Triers erneut zu drehen. „The Five Obstructions“ zeigt Leth und von Trier im Dialog bei der Aufgabenstellung, zeigt dann das Ergebnis und dann wieder den Dialog inklusive Werkkritik und erneuter Aufgabenstellung. Heraus kommen fünf experimentelle Neuversionen des alten Werks. Leth war zuvor wegen seiner Depressionen nach Haiti ausgewandert, von Trier wollte ihn ins Leben zurückholen – das war zumindest die Information, die den Film seinerzeit begleitete.
Inzwischen scheint dies geglückt, Leth gibt große Veranstaltungen in Kopenhagen, bei denen er auch über „The Five Obstructions“ spricht, und ist in irgendeiner Form eben auch als Literat und Lyriker aktiv. Das Internet gibt preis, dass er auch als Radsportkommentator und am Dänischen Filminstitut tätig war und zuletzt Kontroversen hervorrief, weil er seine Vorliebe für unangemessen junge Drittweltmädchen postulierte.
Es wäre also mehr als interessant, Leths Texte zu verstehen. Die spricht er unmittelbar ein, nicht dramatisiert. Selbst Füllwörter wie „äh“ oder spontanes Lachen blieben in der Tonspur. So erzeugt er Nähe und vermeidet übermäßigen Perfektionismus.
Die Musik dazu ist entspannt und trippig. Pro Track sind zwei Instrumente zu hören, zumindest klingt es so, und die reichen einmal quer durch den Orchestergraben bis hin zu Gitarren und zum Synthie, der bisweilen für Flächen und dezente Beats sorgt. Von dort wieder zurück zu Leth: Auch da wäre es interessant, zu wissen, ob die Musiker den Inhalt aufgreifen. Verwirrend in diesem Zusammenhang ist, dass allen drei bisherigen Alben jeweils eine Bonus-CD beiliegt, auf der die Tracks ohne Leth enthalten sind – also ohne den Anteil, den das Projekt „Vi sidder bare her“ gerade so speziell macht. Wiederum erstaunlich ist, wie gern man sich auch diese zweite CD anhört. Für sich gehört ist das Ergebnis näher an Kammermusik oder Soundtrackarbeiten (Angelo Badalamenti schimmert einmal durch; kein Wunder, ist Toksvig doch Filmkomponist) als an Ambient, und das, obwohl beide Musiker schon mit Anders Trentemøller arbeiteten.
Neu ist diese Kombination selbstredend nicht. Im Grunde sind schon die ersten Alben von Patti Smith und Anne Clark Poesie mit Musik, wenn auch im Gesprochenen deutlich rhythmischer. Nicht zu vergessen Goethes Erben. Air unterlegten auf dem Album „City Readings“ eine Lesung von Allessandro Baricco, das ist noch am dichtesten an „Vi sidder bare her“. Eine Besonderheit bleibt diese Kooperation in jedem Fall, und auch für Nicht-Dänen ein Erlebnis.