U2 – Zoo TV: Live In Dublin 1993 EP – Island Records 2024

Von Matthias Bosenick (25.09.2024)

Das Vinyl ist knattergelb. Die Songs waren großartig, damals, zwischen 1991 und 1993, die Zeit, aus der die fünf (in Japan auf CD sechs) Tracks stammen, die die Iren U2 auf der 12“ „Zoo TV: Live In Dublin 1993“ erst jetzt herausbringen. Der große musikalische Umbruch, der Schritt von den nachdenklichen hymnischen Weltverbesserern zu den tanzbaren ironischen Hedonisten, so die damalige entsetzte Haltung der Achtziger-Altfans, die „Achtung Baby“ 30 Jahre später komischerweise schon immer gut fanden und offenbar erst im Rückspiegel feststellten, dass „Rattle And Hum“ 1989 kein Gegenentwurf, sondern eine Vorstufe zu „Achtung Baby“ war. Feiern wir also mit dieser auch auf CD und im Stream erhältlichen EP die guten, alten Zeiten mit den guten, alten, ehrlichen Rockern aus Dublin.

„Zoo Station“ eröffnet „Achtung Baby“ und auch diese EP, mit dem Industrial-artigen Intro, aus dem sich ein traditioneller U2-Song mit typischer The-Edge-Gitarre herausschält, der indes in ein tanzbareres Gewand gehüllt ist. Abgesehen vom Publikumsjubel nimmt sich die Band gegen Ende des Songs heraus, mal kurz mit etwas Gitarrengejamme einen Unterschied zur Studioversion anzubieten. In „Mysterious Ways“ jubelt Bono mehr herum als auf der Studio-Platte, ansonsten shuffelt und funkt der Song wie gewohnt, bis The Edge wieder solieren darf und einen ordentlichen Schub an Energie rauslässt. „Tryin‘ To Throw Your Arms Around The World“ hat diesen agilen, aber entschleunigten Milli-Vanilli-Breakbeat, die typische hohe The-Edge-Gitarre und das eingebaute verfremdete Chor-Sample drin, Bono jodelt hier zwischendurch, wie er es bei dem Song auf der Tour gern tat, und passt den Text an aktuelle Geschehnisse an, und The Edge spielt sein Instrument bald auf eine reflektiert-extrovertierte Weise, als wäre der Song bereits auf „Rattle And Hum“ erschienen.

Die B-Seite beginnt mit dem einzigen Song, der nicht von „Achtung Baby“ stammt, sondern vom damals aktuellen spontanen Nachfolger „Zooropa“: „Stay (Faraway, So Close!)“, außerdem vom Soundtrack des gleichnamigen Wim-Wenders-Films. Auch der hat den Milli-Vanilli-Beat, findet sich tempomäßig im balladesken Bereich und gibt etwas gelangweilt den Weg zur massentauglichen geschmeidigen Poprockband vor, den U2 doch erst im Jahr 2000 temporär und ab 2010 kontinuierlich einschlagen. Der Rest von „Zooropa“ ist erheblich geiler, der Rest auf dieser EP ebenso und das, was mit „Pop“ bis 2000 noch kommt, freakt so richtig ab; das Cover dieser 12“ passt sich dem an. Zum krönenden Abschluss des Vinyls schnulzen U2 nämlich wie auf „Achtung Baby“ das Publikum mit dem schwermütigen Walzer „Love Is Blindness“ in die Dunkelheit. The Edge gniedelt selbstversunken zu Ambient-Flächen, Adam Clayton und Larry Mullen Jr. bekommen erst nach der Hälfte mehr zu tun, der Song wirkt so eindrücklich, wie man ihn kennt.

Auf CD sind dieselben Songs zu finden wie auf der Schallplatte, außer in Japan, da gibt’s „The Fly“ als CD-Bonus, und man fragt sich, was das soll, schließlich wäre die B-Seite mit dem Stück genau so lang geworden wie die A-Seite. Dafür ist das Vinyl knattergelb, das lockt, ebenso wie das Phosphor, das die vorherige 7“ mit dem tatsächlich neuen, aber sehr langweiligen Song „Atomic City“ als Kaufgrund mitliefert und das damit auch nur Kraftwerks „Neon Lights“-12“ aus dem Jahr 1978 zitiert.

Aufgenommen angeblich am 28. August 1993 in der Royal Dublin Society Arena, weiß es das Internet mal wieder besser: U2 absolvierten an dem Ort zwei Konzerte an zwei aufeinanderfolgenden Abenden, mit denen sie den Europa-Teil der Tour beendeten, und lediglich zwei der – nun – sechs Songs stammen vom zweiten Abend: „Tryin‘ To Throw Your Arms Around The World“, das man auf der 30th-Anniversary-Edition von „Achtung Baby“ bereits erhielt, und ausgerechnet „The Fly“, allerdings wohl leicht bearbeitet. Den Rest der EP nahmen U2 am Vorabend auf. Einen weiteren Song von der zweiten Show bekam man überdies 1993 auf der Single von „Stay (Faraway, So Close!) – The Live Format“, und zwar „Bullet The Blue Sky“. Das gesamte Konzert kursiert zudem als Promo und als Bootleg. Aber nichts davon auf knattergelbem Vinyl!