Von Matthias Bosenick (07.03.2022)
Sobald nur die Gitarre einsetzt, ist es wie eine Heimkehr, das gilt für die melancholische Dudelgitarre wie für das episch verzerrte Brett: Toundra ist eine Band, die man am Sound erkennt, einzigartig. Den instrumentalen Postrock der Spanier unterscheidet das Progressive von anderen Vertretern, die Stücke sind komplex und abwechslungsreich. Damit Musik nicht wie in diesem Genre üblich alsbald ins Weinerliche driftet, reichern Toundra sie mit einem kraftvollen Schlagzeug und einer streckenweise unerwarteten Härte an. Auch wenn instrumental hier das absolut aufgehende Konzept ist, wünscht man sich doch zusätzlich eine Rückkehr von Niño de Elche zurück, also die Fortsetzung des vorzüglichen gemeinsamen Flamenco-Projektes Exquirla.
Natürlich füttern auch Toundra den gierigen Schlund des Postrock-Hörer mit vertrauten und erwartbaren Elementen: Gitarren neigen zum Flirren, generieren epische Flächen, schrauben sich in die Höhe, breiten die Flügel aus zur ganz großen weltumspannenden Geste. Und dann mostet das griffige Schlagzeug mittenrein, fuzzt der Bass wie einst im Grunge, fällt die Gitarre in ein Spiel wie im Neunziger-Gothrock zurück, begleitet ein Glockenspiel das einsetzende Metalbrett, drängt sich ein Saxophon in den flirrenden Sound, fließen auch immer wieder die folkloristischen Elemente wie bei Exquirla in die Stücke ein, schwanken die Stimmungen wie die wilde See.
Auch wenn der Verzicht auf einen Gesang automatisch eine Lücke lässt, versuchen es Toundra nicht, diese zwingend mit Gitarrenmelodien zu füllen. Sicherlich sind weite Passagen auch auf „Hex“ grundsätzlich melodisch, aber nicht vordergründig, hier dominieren Stimmungen, Atmosphären, Gefühle, und dies alles drücken die Spanier eben mit Musik aus, mit ihren Kompositionen, die nicht selten intuitiv wirken, als stelle die Band das Rückenmark über das Gehirn. „Hex“ ist sicherlich Anwärter auf die Toplisten 2022.
„Hex“, also Album Nummer sechs, gezählt ohne den nachträglichen Soundtrack zu „Das Cabinett des Dr. Caligari“ und ohne Exquirla, ist wieder wuchtiger und näher am eigenen Sound als der genannte eher stille Soundtrack. Spaßvögel, wie sie sind, strukturieren Toundra das Album nach klassischem LP-Format: Seite 1 besteht vollständig aus dem dreiteiligen „El Odio“, so kennt man das auch vom Progrock. Und wenn man den Witz schon anfängt, dann zieht man ihn auch durch: „Hex“ ist in der CD-Variante limitiert, dafür liegt dem unlimitierten Vinyl eine CD bei.