Von Matthias Bosenick (31.01.2025)
Für Metal ist hier ganz schön viel Nichtmetal drin. Als Tech oder Math Metal klassifiziert sich das neu zusammengestellte Trio Tonnen von Hall, bringt aber dem Metal reichlich ferne Sounds unter. Im November gab’s als ersten Vorboten die EP „Antlitz“, jetzt ist das Debüt-Album „Ein Abdruck vom Messer im Herzen“ griffbereit. Das Mathematische drückt sich dadurch aus, dass die Tracks zwar Rhythmen haben, die aber so komplex sind, dass das Mitwippen schwerfällt, und dazu kompositorische Strukturen weit außerhalb des Popradios. Anspruchsvolle und ansprechende, aber keine leichte Kost, und das lässt der Bandname ja bereits vermuten. Die Jazz-Schublade ist nicht weit entfernt. Und das alles ohne Bass!
Von den fünf Tracks der „Antlitz“-EP sind eigentlich nur zwei wirkliche – nun – Songs dabei, wobei von Songs, also Liedern, bei Tonnen von Hall gar keine Rede sein kann, hier singt niemand und die Strophe-Refrain-Brücke-Struktur erfüllt keiner der Titel. Die anderen drei sind Spielereien, Soundcollagen, Gitarrengniedeln, Interludes. Beide Tracks – das Titelstück und der Adrian Benavides Mix von „Kraken“ – deuten bereits an, was das Album erfüllt: hochkomplexe Beats, trotz hörbarem E-Gitarreneinsatz Sounds jenseits von klassischem Metal-Riffing, Gegniedel und ein ausgeklappter Mittelfinger in Richtung Erwartungshaltung.
Diese Anordnung von Tracks und Zwischenspielen behält das Album mit dem sperrigen Titel „Ein Abdruck vom Messer im Herzen“ bei, von den 21 Titeln sind zehn lediglich um die eine Minute lange Interludes. Der Rest indes gestaltet aus, was die EP bereits andeutete: Schon der Opener „Erdmantel“ lässt mit seinem harschen hasenartigen, mit der Gitarre generierten Basslauf an Meshuggah denken, aber so bleibt das Album nicht, jeder der elf als solche aufzufassenden Tracks hat eine andere Ausrichtung. Der Djent dringt bei vielen Stücken durch, wenn etwa die Gitarre vermeintlich willkürlichen Akkordfolgen nachgeht, während das Schlagzeug und die zweite Gitarre auf dem Boden Himmel und Hölle spielen. Je komplexer die Strukturen, desto mehr ist man geneigt, an moderne Klassik zu denken, an Johann Sebastian Bach und seine mathematischen Fugen. Oder an Jazz, an Kunstmusik, an Avantgarde, an Experimente von Mike Patton.
Wer hier strukturiert headbangen will, sieht sich vor unlösbare Herausforderungen gestellt. So eine Sorte Metal ist hier nicht enthalten, jedenfalls nie durchgängig, lediglich fragmentarisch. Außerdem reizen Tonnen von Hall die Verzerrer selten so aus, dass die Gitarren wirklich nach Metal klingen; hier sind es die Djent-Prog-Math-Strukturen, nicht die Sounds, die das Etikett „Metal“ einfordern. Dabei behält es sich das Trio vor, die Geräuschintensität variabel zu halten; ein Stück wie „Kaiserlicht“ etwa bewegt sich erkennbar in den vertrauten Strukturen des Albums, aber weitgehend ohne die verzerrten Flächen, was es umso eindrucksvoller macht, den Musikern bei ihrer Arbeit zuzuhören, weil man den Eindruck hat, ihnen exakter auf die Finger gucken zu können. Wie machen die das bloß?!
Dabei fällt natürlich auf, mit was für merkwürdigen Titeln Tonnen von Hall arbeiten. Bis auf den Albumtiteltrack tragen sämtliche Stücke, auch die Zwischenspiele, Einworttitel, die nicht zwingend einen Kontext erahnen lassen oder gar eine Geschichte erzählen. Neben vertrauten Wörtern wie „Vorhalle“, „Thronfolge“, „Endgegner“ oder „Herzkammer“ finden sich in der Playlist auch absonderliche Titel wie „Zivilisationsfolie“, „Donnermesser“, „Kaiserlicht“ oder „Blutrille“. Was treibt dieses Trio bloß um?!
Bei Tonnen von Hall handelt es sich um eine Neuzusammenstellung altvertrauter miteinander Musizierender: Anchor And Burden heißt das Berliner Quartett, dem drei Viertel dieser neuen Band angehören. Hier fehlt also lediglich Keyboarder Bernhard Wöstheinrich, alle anderen sind dabei: die beiden Gitarristen Markus Reuter und Alexander Paul Dowerk sowie Schlagzeuger Asaf Sirkis. Alle hier versammelten Musizierenden haben mehr Seitenarme als ein „Kraken“, mit Nebenbands und Sonderprojekten. So war Dowerk etwa unter anderem auch an „I Shin Den Shin“ beteiligt, dem Solo-Album von Luca Calabrese, der erst jüngst das Live-Impro-Trio LLL mitgründete. Sirkis, neben unzählbaren anderen Beteiligungen, stieg erst kürzlich bei den 60er-Jazzrockern Soft Machine ein. Und Reuter ist sowieso ungebremst aktiv, nicht nur mit dem hier fehlenden Wöstheinrich.
Nun also das Oxymoron Tonnen von Hall. Mit reichlich Kopfeinsatz schwingt das Trio die Axt, ist brutal anspruchsvoll und zwingt jedem Hörenden die volle Aufmerksamkeit ab, weil ein Nebenbeihören vermutlich zu epileptischen Störungen führt. Für den intensivsten Genuss empfiehlt sich ein Aufenthalt im „Klingensaal“.