Von Matthias
Bosenick (14.02.2020)
Eine ungarische Band nimmt ein
Post-Rock-Album des Halls wegen in einer Tropfsteinhöhle auf: Die
Rahmenbedingungen sind spektakulär, die Musik auf „Tükör“
greift in höchste Höhen, jubiliert, tiriliert, alles auf bestem
Niveau – und verpasst die einmalige Chance, dabei dem Genre etwas
Eigenes hinzuzufügen. Keine Frage, „Tükör“ ist ein tolles
Album und Törzs aus Budapest eine tolle Band, aber man hat auch so
grandiose Musik wie diese bereits hinreichend vernommen.
Wenn Törzs wenigstens wie Jambinai Instrumente oder Melodien der
heimischen Folklore integriert hätten! Das Ungarische dringt jedoch
zu keinem Zeitpunkt aus der Musik. Die bleibt komplett im Genre
verhaftet: etwas Shoegaze, langsame Songs, hymnische Melodien,
wunderschöne Atmosphären, wechselhafte Songdichten, aufgetürmte
Walls Of Sound, ortsbedingt massig Hall und Echo, komplett
instrumental. Die hohe Kunst also, nur unerwarteterweise weitgehend
ohne eigene Handschrift.
Kaum je ziehen Törzs das Tempo
an, seltenst verzerren sie die Gitarren über das vertraute Maß
hinaus, nie kommt es zu unerwarteten Brüchen. „Tükör“ bedient
die Tradition des Genres, in seiner Hymnenhaftigkeit erinnert es
bisweilen an die seligen U2, erst kurz vor Schluss gniedelt einmalig
eine Pink-Floyd-Gitarre durch die Stalagmiten. Man hört, dass die
Musiker ihre Freude hatten, als sie das Album live einspielten, und
nicht zuletzt deshalb hört man es auch gern. Die Musik ist ja für
sich betrachtet auch gut.
Man möchte so gern die Exotik
des Ortes heraushören können. Aggteleki Cseppkőbarlang lautet der
Name der Tropfsteinhöhle, in der „Tükör“ entstand, und die
liegt in Nordungarn in einem Nationalpark an der Grenze zur Slowakei,
zum Karst, zur Niederen Tatra, rund 200 Kilometer von der Hauptstadt
entfernt. „Tükör“ heißt „Spiegel“, und das passt sogar,
obschon sich zwar nicht das Umfeld in der Musik reflektiert, aber
doch das Genre an sich und das Album somit bereits Bestehendes zeigt,
aber nichts Eigenes kreiert.
Törzs sind zu dritt: Soma
Balázs, Dániel Nyitray und Zsombor Lehoczky musizieren in der
Höhle. „Tükör“ ist ihr drittes Album in fünf Jahren. Man
möchte es gern innig lieben, weil das Trio sympathisch wirkt und die
Aufnahmebedingungen so bemerkenswert sind, doch fehlt dafür ein
gerüttelt Maß an Eigenständigkeit in der Musik, und so reicht es
immerhin für Respekt und Anerkennung. Ungern hat man die Ungarn
deshalb aber nicht in seiner Sammlung.