Von Matthias Bosenick (09.04.2019)
Seit 34 Jahren dabei, die Schweizer Erfinder dessen, was in den USA später als Industrial bezeichnet wurde und was die Young Gods selbst schon lang nicht mehr machen: Auf „Data Mirage Tangram“ setzen sie vielmehr ihre drogeninduzierten Soundtrips fort, obgleich mit Gitarreneinsatz, so doch weniger auf Härte ausgelegt als auf ein akustisches Vorankommen. Dringlich und zwingend untermauert auch dieses Album, dass die Young Gods noch nie in ihrer Laufbahn enttäuscht haben. Von solchen Musikern gibt es nicht viele, zumindest mit mehr als ein, zwei Alben im Köcher.
Das Album funktioniert wie eine akustische Gaußkurve mit Delle: Es groovt sich still ein, bekommt einen atonalen Knick und groovt sich dann wieder gepflegt aus. Man kann es getrost als Einladung zu einem Trip auffassen, den die Young Gods elektronisch unterfüttern, mit Clicks & Sounds sowie analogem Schlagzeug vorantreiben und mit Gitarrensounds untermalen. In des Albums Mitte unterbricht der Trip für ein songfreies Sound-Intermezzo, das den Hörer zunächst unsanft in die Realität zurückholt, dann aber erst die erneuernde Wirkung des folgenden Tracks umso effektiver wirken lässt, der die scheinbar willkürlichen Geräusche aufgreift und in Rhythmen gießt, bevor der Track dann richtig losgaloppiert. An Härte, insbesondere an metallischer, lassen es die Young Gods dieses Mal vermissen, was aber nicht schlimm ist, da diese den Tripcharakter nur stören würde.
Vielmehr setzen die Schweizer ihren vor Jahrzehnten eingeschlagenen Weg konsequent fort: Schon mit „Heaven Deconstruction“, dem im Folgejahr erschienenen Remixalbum zum 1996er Album „Only Heaven“, versuchten sich die Young Gods in Ambient, Experiment und Soundspielereien abseits von Songstrukturen. Gitarrenbasierte Elegien schufen sie auch schon 1992 auf „T.V. Sky“, aber das Trippige hielt erst ab „Second Nature“ aus dem Jahr 2000 nachdrücklich Einzug in den Sound. Auf „Music For Artificial Clouds“ verfielen sie 2004 ausschließlich in Ambient, die bis dato letzten Studioalben „Super Ready/Fragmenté“ von 2007 und „Everybody Knows“ von 2010 verlagerten das Gewicht noch deutlich mehr auf Wucht als auf Atmosphäre.
Diese Wucht erscheint nun auf „Data Mirage Tangram“ deutlich reduziert, zugunsten eindrucksvoller Strecken und Strukturen. Das Treibende erzeugen die Young Gods mit entsprechenden Rhythmen, nicht mit Wucht. Trotz elektronischer Fundamente hat das Gesamtbild etwas Organisches, die Trips sind als nicht reich chemisch. Und die Young Gods sampeln und zitieren wieder, wie von Anbeginn ihres Wirkens an: Wer mag, hört „Bela Lugosi’s Dead“ von Bauhaus heraus oder die Gitarrenfiguren, die Dead Can Dance etwa auf „Spiritchaser“ einsetzten. Und wie immer kann Franz Treichler nicht singen, aber wäre ihm deshalb jemals das Mikro verboten worden, hätte die Welt eine Charakterstimme mit Seele verloren, wie so oft im alternativen Bereich.
Neun Jahre Zeit ließen sich die Helden seit dem letzten Album, und das war eine begnadet gute Dreifach-Live-Box. In dieser Zeit hatten die Young Gods zudem einen Besetzungswechsel zu verbuchen: Alain Monod verließ die Band 2012 nach 25 Jahren, für ihn kehrte Gründungsmitglied Cesare Pizzi nach einer beinahe ebenso langen Pause zurück. Geblieben ist Bernard Trontin, der seit 1997 am Schlagzeug sitzt. „Data Mirage Tangram“ erfüllt übrigens auch formell den Anspruch des Trippigen: Es enthält sieben Lieder in 53 Minuten, in der Vinyl-Version verteilt auf vier Seiten, inklusive der CD als Beilage. Willkommen zurück, und danke für diesen grandiosen Titel!