Von Guido Dörheide (18.06.2022)
Remember Mike Scott? Der eine und einzige Mike Scott, der auf den früheren Waterboys-Albumcovers immer so aussah, als könnte er auch bei Echo und den Bunnymen mitmachen? Ich erinnere mich noch genau an „A Pagan Place“, mit Mike Scott vorne drauf, damals, in Gifhorn in der „Plattenkiste“, und Mike Scott sah einfach toll darauf aus. Genau dieser Mike Scott hat ein neues Album draußen (das macht Mike Scott sehr oft, ich weiß), und es ist ebenfalls apselut toll.
Wenn Mike Scott auf mich hören würde, ich würde ihm raten, seine Alben nicht unter dem Namen „The Waterboys“ herauszubringen, sondern als „The Mike Scott Band“ oder als „Mike Scott & Friends“ oder einfach nur als „Mike Scott“, „Mike Scott Fest“, „Ladies Love Mike Scott“ oder „Mike Scott & The Scots“ Aber Mike Scott hört nicht nur nicht auf mich, Mike Scott kennt mich nicht einmal.
Also bleibt es bei „The Waterboys“. Seit „Fisherman‘s Blues“, dem unglaublichen Once-in-a-Lifetime-Weltkulturerbejahrtausendmeisterwerk aus dem Jahr 1988, ist nicht mehr Mike Scott vorne auf dem Cover drauf, aber seit einigen Jahren ist, wenn vorne „Waterboys“ draufsteht, drinnen größtenteils Mike Scott drin. Was nicht schlecht ist, sondern durchaus gut. Sehr gut sogar.
So – jetzt zurücklehnen und die Musik von „All Souls Hill“ genießen, immerhin habe ich schon bestimmt mehrere Male „Mike Scott“ geschrieben (habe ich?), ohne auch nur ein einziges Mal die Musik auf dem aktuellen „The Waterboys“-Album, also dem Album der schottischen Band, die von Mike Scott geleitet wird und deren Sänger Mike Scott ist, auch nur ansatzweise erwähnt zu haben.
Und Mike Scott gibt uns auch auf dem neuen Album wieder mannigfaltige Gründe, Mike Scott zu feiern. Weil er nämlich alles richtig macht, angefangen bei einem für einen Schotten wahrhaft würdigen Nachnamen, er ist aber auch ein wirklich guter Sänger und ein begnadeter Songwriter und niemand sonst kann eine Drum Machine so konsequent einsetzen und gleichzeitig nie auch nur den winzigen Hauch eines Zweifels hinterlassen, dass es sich hier um 100% handgemachte Musik, also quasi Folk, ja – zugegebenermaßen Mike-Scott-Folk der Marke Mike Scott – handelt.
Aber Mike Scott wäre nicht Mike Scott, wenn er sich nur auf seine eigene Kompetenz verlassen würde. Auf „All Souls Hill“ versichert sich Mike Scott der Kontribution einiger teils namhafter und zugleich virtuoser Unterstützer – allen voran des unsterblichen, übergroßen, leider jüngst verstorbenen Alfred „Pee Wee“ Ellis am Saxofon. Der schon (unter anderem) bei James Brown und Maceo Parker gespielt hat und der mit ihn ihm seinen Saxofonspiel „Hollywood Blues“, das eh schon toll ist, zu etwas noch Tollerem adelt.
Alle Songs auf dem Album wurden von Mike Scott geschrieben oder co-geschrieben (vor allem Co-Produzent Simon Dine, der schon unter anderem und vor allem mit Paul Weller zusammengearbeitet hat, hat am Songwriting kongenial mitgewerkelt), mit Ausnahme von „Once Were Brothers“ – klar, das ist von Robbie Robertson von The Band (hihi – „Mike Scott & The Band“). Und wahrlich, als die Band Dixie spielte, kam Mike Scott reinmarschiert und machte sich dieses wunderbare Stück zu eigen. Direkt vor dieser Coverversion kommt allerdings noch „In My Dreams“ – ein Spoken-Word-Teil mit schön psychedelisch-schleppender Musik, in dem sich der Waterboys-Frontmann mit dem schwer zu merkenden Namen an seinen verstorbenen Held:innen aus dem Musikbusiness abarbeitet. Und nein – die Rede ist nicht von Richard Hell und Tom Verlaine (die außerdem beide noch leben – ebenso wie Jim Osterberg aus Michigan, der es trotzdem in den Song geschafft hat – die Zeile „Jesus, this is Iggy“ kriegt da auf einmal eine ganz andere Haptik) – Ian MacDonald von King Crimson, David Bowie, Sly Stone, Amy Winehouse und Marc Bolan werden hier unter anderem genannt. Aber beginnen wir zunächst mal am Anfang: Diesen macht das Titelstück „All Souls Hill“, das hypnotisch vorantreibt, Scott raunt mehr als dass er singt, diese Eröffnung macht Lust auf mehr. Mit „The Liar“ geht es dann auch gleich furios weiter: Das Stück handelt von einem namentlich nicht genannten Superschurken, und jede Strophe endet mit den Worten „When the liar was impeached.“ Anstelle den Liar zu impeachen, hat man ihn einfach nicht mehr re-elected, aber die Art und Weise, wie Scott hier mit Donald Trump abrechnet, hat etwas Befreiendes, Reinigendes.
Das folgende „The Southern Moon“ lebt von Mike Scotts Stimme und des Wehklagens seiner Darbietung. Man könnte hier ewig weiter zuhören. Muss man aber nicht: Auf „Blackberry Girl“ zieht Scott das Tempo an, der Song treibt voran und erinnert an irgendwas, auf das ich gerade nicht komme, auf jeden Fall an was richtig Gutes. „Hollywood Blues“, „In My Dreams“ und „Once Were Brothers“ hatte ich oben schon abgehandelt, auf Letzeres folgt „Here We Go Again“, das in schön repetitiven Strukturen vor sich hin swingt und wieder Scotts Stimme eine angemessene Bühne bietet, die ziemlich düsteres Zeug singt, was sich aber auf die gute Laune des Rezensenten wie durch ein Wunder dennoch nicht auswirkt.
„All Souls Hill“ hat keine Tiefpunkte oder Unnötigkeiten, verstört bisweilen, reißt mit, macht Spaß und erfüllt die/den Hörenden vor allem mit Freude ob der Tatsache, dass Mike Scott auch viele Jahre nach der großen Musik, dem ganzen Mond und dem Katzenjammer der Fischer weiterhin relevant, kreativ und ganz hervorragend bei Stimme bleibt. Den Abschluss dieses wie ich denke nicht weniger als großartigen Albums bildet das knapp über neunminütige „Passing Through“, das in seiner unnachahmlichen Eintönig- und Langweiligkeit, die einen nicht kalt lässt und nach weiteren 20 Minuten dieses Songs schreit, einen wahnwitzigen Bogen von Adam (den aus der Bibel, nicht den von den Beastie Boys), über Kain, Jesus (der aus dem Neuen Testament und nicht der aus dem Bowling-Center), Shakespeare, Sitting Bull und Martin Luther King schließlich zu George Floyd schlägt. Und spätestens bei der Erwähnung des Letztgenannten weicht die vermeintliche Langweilig- und Eintönigkeitsanmutung des Stücks einer amtlichen Gänsehaut. Wow, Hammer, Mike Scott!