The The – Muscle – Lazarus 2020

Von Matthias Bosenick (09.02.2021)

Mit der klassischen Achtziger-The-The-Bontempiorgel geht’s los: „I Want 2 B U“ eröffnet den Soundtrack zu dem Thriller „Muscle“, den Matt Johnson als neues Album seines Alter Egos The The veröffentlicht. Ein Song im altvertrauten Stil also, und der Rest ist Experiment, vermutlich filmtauglich, aber auch für sich genießbar. „Muscle“ klingt, als habe Johnson seine Sounddatenbank geplündert, um eine zunächst atmosphärische und später etwas rabiatere Kulisse zu erstellen. Hat nix konkret mit seinen großen Zeiten in den Achtzigern und frühen Neunzigern zu tun, ist aber trotzdem fein – wir werden halt alle älter und verändern uns.

Wer also nach dem retro-orientierten Vorboten „I Want 2 B U“ glaubt, mit „Muscle“ ein Album im Stil der The-The-Achtziger zu bekommen, sieht sich vermutlich enttäuscht – bis auf diejenigen, die in dem Song im The-The-Kontext nichts Neues hören und davon enttäuscht sind, die könnten am restlichen Album ihre Freude haben. Songs außer der Single finden sich darauf keine, es geht nur um Sounds, Atmosphären, Experimente, einen Score mithin.

Dafür plündert Johnson seine Datenbank, die er seit den Siebzigern hegt und pflegt, um daraus Musik zu erstellen; man nimmt also vertraute Töne wahr, die bis vor über zwanzig Jahren, als Johnson noch Song-Alben machte, diesen Songs als Hintergrund, als Anreicherung, als Schmuck dienten, hier aber das Kernelement mancher Tracks darstellen, nur zusätzlich reichlich verfremdet, gedehnt, gedubbt, zerschreddert. Andere Sounds erzeugt Johnson originär für diesen Soundtrack und zieht dazu ein umfangreiches Instrumentarium heran: Neben der manipulierten Gitarre und den seit seiner Jugend gern genutzten Kassettenspielern und Tapeloops sind dies Synthies, Percussion, Mellotron und das ebenfalls in Johnsons Frühphase passende Omnichord, ein elektronisches Musikinstrument der Firma Suzuki. Kein Wunder also, dass man Johnson in „Muscle“ allein an den Sounds erkennt.

Nicht aber zwingend an den Stücken selbst, die zunächst dem Thriller Atmosphäre verleihen und zum Ende hin auch Aggressivität. Ein Track klingt mit seinen rhythmisch angeordneten Electro-Effekten beinahe nach Industrial; nur ein weiterer Hinweis dafür, wie es dazu kommt, dass ein Trent Reznor The The als Inspiration angibt. Zum Schluss zersägt Johnson dann seine Vorabsingle zum zerhackten „Want U 2 B I“.

Um herauszufinden, wie effektiv diese Stücke im Film wirken, müsste man jenen natürlich zu Gesicht bekommen. „Muscle“ ist ein Thriller von Regisseur Gerard Johnson. Der Nachname verrät es: Matt und Gerard sind Brüder, und so nimmt es nicht Wunder, dass „Muscle“ nicht die erste gemeinsame Arbeit der beiden ist. Im Oeuvre von The The ist „Muscle“ die siebte Ausgabe der Reihe Cinéola, darunter finden sich auch die Soundtracks zu „Tony“ und „Hyena“, den anderen beiden Langfilmen von Gerard Johnson. „Muscle“ kommt, wie auch die anderen Teile der Cinéola-Serie, auf Wunsch in einem Digibook mit Filmstills und Infos. Ein „Slow Emotion Replay“ oder ein Rudel „Dogs Of Lust“ wird es von Johnson auf Albumlänge wohl erstmal nicht mehr geben, auch die vorherige Single „We Can’t Stop What’s Coming“ verschwand 2017 in der „Radio Cinéola Trilogy“ auf dem Teil-Album „The End Of The Day“ inmitten von Coverversionen befreundeter Künstler. Aber egal, man freut sich ja schon, Johnsons Stimme überhaupt mal wieder zu hören.