Von Matthias Bosenick (09.06.2023)
Die Frage, ob The Sun Or The Moon das Ziel sein sollen, beantwortet das gleichnamige Quartett ausweichend weiterführend mit „Andromeda“. Wer jetzt nicht sofort an Spacerock und psychedelische Musik denkt, kennt die Chiffres nicht, und die vier Musikerinnen und Musiker aus der Gegend um Mainz kennen sie alle – und noch viel mehr, da wird der Trip nämlich spannend: Zwar denken die vier den Krautrock weiter und unternehmen Ausflüge ins Psychedelische und Spacige, doch kennen sie noch einige hörenswerte Umwege, die sie auf ihrer unendlichen Reise mitnehmen, ins Elektronisch-Tanzbare etwa, in rockigere Gefilde, gern auch progressiv ausgerichtet, oder in den Ambient. Nicht so offensichtlich jedoch in den Gothic Rock, das waren The Sun And The Moon, die Mark Burgess nach dem ersten Aus seiner Band The Chameleons Ende der Achtziger kurzzeitig ins Leben rief. Man darf sich „Andromeda“ jedenfalls als Reiseziel setzen, der Trip ist die Reise wert!
Es scheint, als habe das Quartett seit seinem Debüt mit dem gleichsam entlarvenden Titel „Cosmic“ einen kosmischen Sprung gemacht: „Andromeda“ klingt klarer, fetter, virtuoser, dichter, schlüssiger als der Erstling, der sicherlich auch schon gut war, aber der zweite ist eben besser. Dabei verteilen die Musizierenden die Spielzeiten ungleichmäßiger: Waren die Stücke auf dem Debüt noch eher gleich lang, kommen die vier auf dem Nachfolger öfter mal eher auf den Punkt, geben dafür anderen Tracks mehr Leine, gerade so, wie es passt, da beweisen sie einen sicheren Blick für ihre eigenen Kompositionen. Diese halten die vier zwar energetisch, aber chillig, wie es sich für eine kosmische Reise gehört; selbst die tanzbaren oder rockigen Passagen drängen sich nicht im Verhältnis zum Rest unangenehm auf, und umgekehrt schläfern die Ambient-Sequenzen nicht ein, alles ist ausgewogen. Ein Titel wie „Operation Mindfuck“, der die progressiven Power-Metaler Queensrÿche zitiert, führt eher in die Irre – Metal gibt es hier wenn, dann nur unter der Oberfläche.
Die Band selbst gibt zahlreiche Referenzpunkte für ihre Musik an, vieles davon meint man auch herauszuhören, jeweils quasi die üblichen Verdächtigen aus den aufgezählten Bereichen Krautrock (Can, Amon Düül II), Spacerock, Progrock (frühe Pink Floyd), Düsseldorfer und Berliner Schule (Kraftwerk, Tangerine Dream), nur gelingt es der Band hier ausnehmend gut, aus den Einflüssen etwas zu generieren, das kein reines rückwärtsgewandtes Plagiat ergibt, sondern – im schönsten Sinne – progressiv in die Zukunft blickt. Denn einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Stücke haben Keyboards und Synthesizer, schon immer ein Symbol für Futurismus, und die sind hier angenehm divers eingesetzt, mal als Beat, mal als Fläche, mal als Piano. Drumherum findet eine zurückgenommene Rockmusik statt, inklusive spacigen Solos und auch mal griffigen Licks. Zwar gibt die Band auch jüngere Einflüsse wie Trip Hop an, doch lassen sich die nicht so einfach konkret zuordnen wie die älteren Vorbilder. Dann kann man schon eher den Jazz gelten lassen, den die Mainzer ebenfalls anführen, was das Freie und Komplexe betrifft, das sie nämlich ebenfalls beherrschen. Angenehmerweise ist diese Platte nicht wie die vieler Zeitgenossen rein instrumental, es gibt Gesang, der aus den Stücken indes noch lange keine poppige Radiomusik macht.
Dem Quartett vor steht jemand, der sich Frank Incense, also Weihrauch, nennt; der Keyboarder, Sänger und Bassist heißt eigentlich Frank Reuter, kommt aus Ingelheim und macht außerdem seit Ende der Neunziger unter dem Wortspiel-Alias Sue E. Side mit der Band Holy Orange (unter anderem mit Ernie Ball von Still Silent?) Gruftmusik. Bei Gründung von The Sun Or The Moon waren dabei: Keyboarderin Susanne Baum, heute Schneider, Schlagzeuger Niclas Ciriacy sowie Gitarrist George Nowak, den Discogs als The Barefoot Man identifiziert, als der er seit den Siebzigern von den Cayman Islands aus karibische Musik machen soll. Auf „Andromeda“ ersetzt ihn Markus Weber, der an dem Debüt bereits als Gastgitarrist sowie als Masterer beteiligt war. Womöglich war dies der Umstand, der zur Verfeinerung der Rezeptur führte: „Andromeda“ ist ein ausnehmend lohnenswerter Trip geworden.
Wie das Debüt wird es auch „Andromeda“ als Vinyl-Version geben, dann fehlen aber zwei Stücke, die es nur auf CD und digital geben wird. So geil Vinyl auch ist, das wäre ein Versäumnis – diese beiden Extra-Tracks sind kein schlichter Appendix, sie runden „Andromeda“ ab.