Von Matthias Bosenick (05.10.2023)
Die dreiköpfige Supergruppe The Smile ist mehr als nur ein hochkarätiges Studioprojekt, die Briten können ihre Kunstrockmusik auch live darbieten, und wer im zurückliegenden Jahr die Konzerte verpasste, bekommt die Möglichkeit, auf dieser 12“ einiges nachholen zu können. Fünf der sechs Songs sind dem Debütalbum „A Light For Attracting Attention“ entnommen, eines, „Feelingpulledapartbyhorses“, ist ein von Jonny Greenwood komponierter Radiohead-Song, den Sänger Thom Yorke 2009 als Solo-Single herausbrachte. Diese EP präsentiert nun auf der A-Seite die knackigeren Stücke, die Songs sind nervös hektisch und eignen sich besser zum Durchhören als das Album, und auf der B-Seite die gebremsten Experimente, denen man sich in aller Ruhe widmen muss. Kurios: Aus den Streaming-Angeboten ist die EP wieder verschwunden, man muss also schon die limitierte Vinyl-12“ haben.
Es hat schon etwas Merkwürdiges, derartig experimentelle Musik vorgesetzt zu bekommen, die man sich außerhalb eines Tonstudios nicht vorstellen kann, und dazu Publikumsjubel zu hören. Ja, die Band bringt ihre Kunst in der Tat auf die Bühne, und das nicht wie eine Covertruppe ihrer selbst, sondern ebenbürtig zur Albumfassung, ohne wiederum überflüssig zu sein. Die EP beginnt dabei wie das Album mit „The Opposite“, mit einem hyperaktiven Afrobeat-Schlagzeug, das man sich genau so auch 1978 von den Talking Heads im CBGB’s dargeboten vorstellen kann, nur dass der Song hier dann noch schriller weitergeht. Schließlich hat Yorke eine hohe Stimme, die er hier kunstdienlich einsetzt. „Thin Thing“ setzt das fort, mittendrin darf die Band mit einem knappen Gitarrensolo kurz anreißen, dass sie grundsätzlich unter „Rock“ gelistet wird, wo sie trotzdem wie ein deformierter Diamant unbequem schimmern dürfte. Das gute „Feelingpulledapartbyhorses“, manchmal auch „FeelingPulledApartByHorses“, fügt sich da perfekt ein, es trägt über einem abgehackten Bassgrove die selbe Hektik und Versponnenheit, das Schräge, in das sich die Band hängt wie in eine im Wind herumtosende Hängematte, die einem zwar den Anschein von Geborgenheit gibt, einen aber durchschüttelt, sobald man sich hineinlegt.
Und dann kommt die B-Seite. Eine Coverversion eröffnet sie, wenn man so will: The Smile bedienen sich bei „Vingt regards sur l’enfant-Jésus. III-L’échange“, einem Piano-Stück des Komponisten Olivier Messiaen, und verkürzt den Titel „Der Austausch“ eingeenglischt ins Gegenteil verkehrt zu „The Same“. Hier wird es nun wahrhaftig experimentell, das Schlagzeug ist auf einen rudimentären Beat reduziert, Piano, Synthies und Streicher übernehmen, dazu kniet sich Yorke in seinen Gesang hinein. Befremdlich, dass das Publikum hier mitklatscht, aber es wird alsbald von elektronischen Störgeräuschen unterdrückt. Das Tempo bleibt anschließend getragen, doch kehrt für „Waving A White Flag“ nach einem ausgedehnten achtziger-tauglichen Synthieintro das Schlagzeug zurück und täuscht die Anwesenheit einer Rockband vor. Die EP endet mit der synthetisch zerstörten Klampfballade „Free In The Knowledge“, in die sich erst gegen Schluss das Schlagzeug einschummelt, um die Ahnung von folkigem Haight-Ashbury Ende der Sechziger vorzugaukeln.
Zur Erinnerung: The Smile ist ein Trio, das zu zwei Dritteln aus Leuten von Radiohead besteht, nämlich Yorke und Greenwood, und zu einem Drittel aus Schlagzeuger Tom Skinner. Nun ist Yorkes Gesang umstritten, einige sind von seiner hohen, bisweilen ins Weinerliche kippenden Tonlage genervt, und ja, er ist dazu in der Lage, an den Nerven zu bohren, es ist stimmungsabhängig, wie gut man das aushält, aber er ist ja nicht allein da und nicht grundsätzlich dominant. Nicht zu unterschätzen ist zudem, dass Radiohead es schafften, nach einer Mainstreamkarriere mit experimenteller Kunstmusik Massen zu begeistern, und bei The Smile setzen sie das fort. Ein Wunder der Neuzeit, vergleichbares gelang vor 35 Jahren Talk Talk.
Inzwischen gibt’s von The Smile übrigens schon wieder etwas Neues: „Bending Hectic“ ist eine Online-Single, die es offenbar gar nicht physisch gibt. Ebenso wie die vorherige EP „Live At Montreux Jazz Festival, July 2022“, und ja, da passen sie gut hin.
01 The Opposite
02 Thin Thing
03 Feelingpulledapartbyhorses
04 The Same (Live EP Version)
05 Waving A White Flag
06 Free In The Knowledge