Von Matthias Bosenick (08.04.2024)
Ohne Orgel keine Multicoloured Shades, ohne Pete Barany schon: Mit jemandem namens Christian Müller fanden die Ruhrpott-Psychedeliker um die 20 Jahre nach dem Tod ihres Aushängeschildes einen ausgezeichneten Nachfolger, dessen Stimmfarbe dezent an die von Mark Lanegan erinnert. Das der Band seit 40 Jahren anhaftende Etikett Psychedelic Rock passt heute nur bedingt, so ist das, wenn man eine nicht so leicht kategorisierbare Musik macht: „2025“, das in die Zukunft blickende neue Album in veränderter Besetzung, birgt erwachsene und trotzdem verspielte Rockmusik, die an den 1987er-Hit „Teen Sex Transfusion“, den man damals eher im Wave- oder Indie- als im Psychedelic-Rock wahrnahm, längst nicht mehr anknüpft.
Bluesbasierte Rockmusik mit Orgel drunter, das bekommt man von The Multicoloured Shades heute geboten, und es ist häufig nicht nur die Stimme, aber vermutlich gerade die, die Vergleiche zu den Screaming Trees im Herzen weckt, doch spielt das Quartett aus Marl nicht so dreckig wie die Grungeband aus Ellensburg bei Seattle. Die Songs auf „2025“ sind zwar weitgehend kompakte Stücke aus Strophe und Refrain und so, doch belegen The Multicoloured Shades fortwährend, dass es sich bei den fünf Bandmitgliedern um Musiker handelt, und also leben sie dies in den Kompositionen ausgiebig aus, indem die Songs Seitenarme, Auswüchse und Gegniedel bekommen. Es ist eben weitaus mehr als einfach nur heruntergerockte Alte-Männer-Musik, hier passiert eine Menge.
Im Midtempo-Opener „Shine“ etwa verfällt das Quartett kurz nach der ersten Strophe auch gleich ins erste Gitarrensolo, abgehangen, abgeklärt, routiniert und dennoch beseelt, breit grinsend und auf eine Weise euphorisch, wie es nur Leute mit Erfahrung und beibehaltener Inspiration zuwege bringen. In „Freedom“ lassen die Shades einen Countryrhythmus den Takt angeben und fransen den Song still und psychedelisch in Gedenken an The Doors oder Deep Purple aus, die Orgel erfüllt dabei sachdienliche Aufgaben. Die Ballade „Wave“ gniedelt vor sich hin und entwickelt sich zu einem hypnotischen Mantra, eine epische Gniedelsequenz baut die Band auch in „Better Life“ ein. „By My Side“ hat das bestmögliche Orgelsolo und „Center“ beschließt das Album als das schnellste und rockigste Stück.
Eine Menge Rock’n’Roll auf „2025“, dessen Besonderheit wie gewohnt die Orgel ist – in dieser Inkarnation der Shades aber nicht mehr nach ganz vorn an den Bühnenrand geschoben, sondern in den Gesamtsound eingebettet, als Teil des Ganzen, und als solches funktioniert diese Orgel vortrefflich. Dabei ist die Position an dem Tasteninstrument sogar unverändert: Detlef „Det“ Bizer (auch bei Baby Scream und The Cheeks) ist eines von drei früheren Bandmitgliedern, das an „2025“ beteiligt ist. Die anderen beiden sind Bassist Michael Döring (auch The Silver Beatles) und Gitarrist Heinz-Werner Maleike (auch bei B・Bus und Sleeping Boys Catch No Fish), neu ist neben dem Mann am Mikro auch der auf dem Schlagzeugschemel, nämlich Thorsten „Babblz“ Stratmann von Daily Thompson, der als alter Freund der Band Bernd Gremm ersetzt. Christian Müller, der seit 2021 für den 2002 verstorbenen Barany einspringt, sprang als Fan der Multicoloured Shades auf diesen Platz – einmal bei Henry Rollins lernen, so geht das. Ohne ihn, so sagt es die Info, hätte es die Shades 2024 nicht gegeben – und „2025“ wollen sie ja auch noch existieren.
Vor exakt 40 Jahren veröffentlichte die Band ihre selbstbetitelte Debüt-EP, nur fünf Jahre später trennte sie sich schon wieder. 2001 taten sich die Shades wieder zusammen und brachten eine nach dem größten Hit „Teen Sex Transfusion“ benannte Best-Of heraus, doch dann starb Barany und nahm jegliche Idee von Fortführung der Band mit sich. Bis Christian Müller kam, der Gruppe neues Leben verlieh und dies auch musikalisch wirken ließ: „2025“ knüpft nicht einfach nur an „Ranchero!“ an, es schlägt einen neuen Weg ein und übertrumpft den vermeintlichen Schwanengesang sogar.