Von Guido Dörheide (16.11.2022)
Ich muss zugeben, dass ich mit der Post (und deren Tochterfirma Dalsey, Hillblom & Lynn) noch nie Probleme hatte, mit „Thank you for travelling with“ Deutsche Bahn dagegen umso mehr. Von daher freue ich mich umso mehr, wenn ich auf Post-Metal-Acts und nicht auf Bahn-Metal-Acts aufmerksam gemacht werde, die ich bis dato noch nicht kannte. Wie zum Beispiel Sylvaine. Als erklärter Fan von Chelsea Wolfe und Oathbreaker las ich zufällig einen Artikel über Katherine Shepard aus San Diego, die irgendwann mit ihrer Familie ins Heimatland ihrer Mutter umzog und dort eine Karriere als Musikerin startete. Dieses Land ist Norwegen, und so hört sich auch Shepards Musik an, die sie seit 2014 unter dem Namen Sylvaine veröffentlicht. Auf den ersten Alben wurde sie von Neige von der französischen Blackgaze/Postmetal/Postirgendwas-Institution Alcest unterstützt, auf dem vierten Album „Nova“ ist das nicht mehr der Fall.
Und dieses Album ist supertoll geworden. Der Titelsong „Nova“ besteht quasi nur aus Shepards wunderschönem Gesang, einigen synthetischen Tasteninstrumenten und jeder Menge Hall. Dazu wünschen die Hörenden sich einen Ghettoblaster und eine gotische Kirche mit einem Taufbecken voller Rotwein. Niederbrennen müssen wir die Kirche nicht – Shepards Gesang genügt vollends. Kann diese Frau anders als überaus liebreizend singen? Äh, ja, sie kann, wie sie gleich beim zweiten Stück „Mono No Aware“ (hmmm…, klingt ein wenig nach Boris… akuma no uta…) deutlich macht: Das Schlagzeug poltert, die Gitarren kreischen und Katherine Shepard lässt den engelsgleichen Klargesang hinter sich, sondern kreischt und growlt, dass es den Hörenden angst und bange wird, um dann kurz nach der zweiten Minute des Stückes wieder klarsingend den Ohren des Auditoriums zu schmeicheln… und kurz danach wieder sämtliche Trommelfelle zum Platzen zu bringen. Großartig.
„Nowhere, Still Somewhere“ startet ebenfalls ruhig, akustisch und hallend, dann setzt ein überaus wohltönendes Dröhnen ein, Shepard singt dazu klartönend und wohlklingend und die Hörenden machen sich darauf gefasst, dass das alles ins Schreckliche umkippt. Was tatsächlich nicht passiert. Dass folgende Stück, „Fortapt“, beginnt ebenfalls ruhig und wunderschön, und dann donnert es los: Auf insgesamt knapp 12 Minuten kommen immer wieder Gitarre, Bass und Schlagzeug zum Tragen, bauen eine Spannung auf, die sich schier kaum ertragen lässt, und Shepard hält sich fieserweise zurück, um dann bei Minute 07:45 am Kreischen zu fangen, mit wieder einmal viel Hall und ganz nach hinten gemischt, aber dafür umso effektvoller. Und nach dieser Eruption geht das Stück dann ruhig zuende, nicht ohne kurz vor dem Schluss nochmal shoegazend Fahrt aufzunehmen und die/den Hörenden in erstaunte Begeisterung zu versetzen. Also geht man als Hörende/r mal kurz vor die Tür, um eine zu rauchen, kehrt dann zurück und stellt fest, dass Sylvaine ihr Pulver noch längst nicht verschossen haben: „I Close My Eyes So I Can See“ ist ein tolles Symphonic-Metal-Stück, nur dass Sylvaine hier absolut ohne sinfonische Elemente auskommen und trotzdem denselben Effenkt erzielen. Manchmal reichen einfach Gitarre, Bass, Schlagzeug, zumindest wenn die Sängerin so viel auf dem Kasten hat wie Katherine Shepard. Am Ende kreischt sie wieder nach allen Regeln des Black Metal und es hört sich toll an.
Das folgende „Everything Must Come To An End“ beginnt wieder nur mit Gitarre, dann singt Shepard wieder sehr hallend, macht dabei neugierig auf das, was noch kommen könnte, und dann … geht es einfach so weiter. Hammer, wie ein Psychothriller, in dem das potentielle Mordopfer dann nun doch nicht geschlachtet wird, sondern einfach sein mit ihn ihm seinen hart verdienten Geld bestelltes Amazon-Prime-Paket geliefert kriegt – mit einem nachhaltig CO2-neutralem Vehikel. Da das so nun wirklich nicht geht, endet das Album mit dem Bonus-Track „Dissolution“ – blackgazige Musik mit angezerrtem Gesang, wunderschöne Melodie – besser kann ein solches Album nicht enden.