Von Matthias
Bosenick (09.12.2019)
Die Swans sind wieder da! Einmal
mehr reaktiviert Michael Gira seine wundervolle monotone Lärmtruppe
und veröffentlicht als einer der wenigen Künstler überhaupt nach
einer Reunion relevante neue Musik. „Leaving Meaning“ skelettiert
den Sound, den die Swans bis vor dem jüngsten Split machten: Das
Album ist repetetiv und monoton, aber aufgrund vielzähliger
besonderer Elemente enorm einnehmend, und lässt dem Lärm nur noch
wenig Raum. Das Doppelalbum gehört in die Top-3 des laufenden
Jahres.
Michael Gira hat nicht nur eine wundervolle sonore Stimme, er hat
auch einen langen Atem. Er baut seine Stücke ewig lang auf und
scheint in ihnen kaum etwas zu bewegen. Man hat unweigerlich das Wort
Mantra im Kopf. Doch der Schein trügt, trotz zahlloser sich ewiglang
wiederholender kurzer Passagen, die er aneinanderreiht: Allmählich
wandern die Hintergrundsounds in der Tonhöhe, verändern sich
Textfragmente, gesellen sich neue Instrumente in die Arrangements,
deuten sich zaghafte Ausbruchsversuche an. Es braucht sogar beinahe
die komplette erste CD, bis überhaupt so etwas wie Brutalität in
der Musik Einzug hält; die Sorte metallischer Brutalität wie noch
auf den Vorgängern „The Glowing Man“ und „To Be Kind“
erreicht „Leaving Meaning“ indes nicht mehr.
Muss es
auch nicht, um Durchschlagskraft mitzubringen: Man kann gerade die
für zartbesaitende Seelen nervtötende Monotonie als Akt der Gewalt
auffassen. Dabei liegt in all den zwölf Kompositionen unendlich viel
Schönheit: sinnliche Melodien, zartes Glockenspiel, fröhliches
Piano, himmlische Frauenstimmen unterkellern die Musik, die sich wohl
genau deshalb nicht zu den Lärmwänden auftürmen kann, die die
Swans noch zuvor errichteten. Von Popsongstrukturen kann hier gottlob
zu keiner Zeit die Rede sein; so gewalttätig, heavy und todesnah wie
noch in den Achtzigern ist der Sound der Swans indes auch nicht
mehr.
Bandchef Gira veränderte nun nicht nur den Sound,
sondern auch die Besetzung der Swans: Bei denen handelt sich sich
nunmehr nicht länger um eine feste Band, sondern um ein offenes
kreatives Projekt, ähnlich wie weiland Pigface (die hier eine
indirekte Erwähnung finden: Das Album ist der verstorbenen Francesca
Sundsten gewidmet, Pigface-Mitglied und Exfrau von Bill Rieflin) oder
Revolting Cocks. Als Gäste geblieben sind hier von der letzten
Besetzung Christoph „Kristoph“ Hahn, Thor Harris, Phil Puleo und
Norman Westberg, der Gira durch beinahe sämtliche Inkarnationen der
Swans begleitet. Es fehlt jedoch nach wie vor die Stimme von Jarboe,
die hier quasi von sieben, acht Sängerinnen vertreten wird, die die
Erinnerungen an Giras langjährigen Kontrapart lebendig halten und um
ihre eigenen Fassetten erweitern – schließlich sind darunter so
versierte Künstlerinnen wie Anna von Hausswolff, die ihre Schwester
Maria mitbrachte.
Weitere Gäste sind unter anderem: Dana
Schechter, die bereits bei The Angels Of Light mit Gira arbeitete,
Bassist Yoyo Röhm, Larry Mullins (The Stooges), Ben Frost, Paul
Wallfish (Firewater) sowie das australische Experimentaljazzprojekt
The Necks. Dennoch klingt „Leaving Meaning“ wie aus einer Hand,
Gira weiß, was er will, und lässt es homogen umsetzen.
Im
Booklet erlaubt sich Gira Wortspiele mit dem Albumtitel, indem er ihn
zu „Meaning Leaving“ oder „Leaving Living“ umdeutet. Auf
Vinyl sind die Stücke übrigens gekürzt und „Some New Things“
fehlt komplett. Und das in Zeiten sterbender CD-Produktionen. Ein
umwerfend großartiges Album!