Von Guido Dörheide (25.04.2024)
Mitte März reisen die Liebste und ich mit dem Fahrzeug in die Hauptstadt, um uns die Premierenlesung von Stefanie de Velascos „Das Gras auf unserer Seite“ anzuhören, kostenloses Parken in Sichtweite des Brandenburger Tores sowie Currywurstessen und ein wenig Sehenswürdigkeiten begucken unter den Linden inklusive. Die haben da sogar einen Laden mit Bud-Spencer- und Terrence-Hill-Fanartikeln!
Es ist eine entspannte Fahrt und ein wunderschöner Tag. Zu Letzterem trägt Stefanie de Velasco mit ihrer Lesung sehr bei. Bevor sie damit loslegt, aus Ihrem neuen Roman vorzulesen, erzählt sie dem Publikum, dass es ihr großen Spaß mache, sich fiktive Romanheldinnen auszudenken, bis dann der Moment käme, in dem ihr klar werde, dass sie ja irgendwann aus diesem Buch vorlesen müsse.
Damit weckt sie sofort die spannende Erwartung des Auditoriums, welche Unvorlesbarkeiten die Autorin ihren Romanheldinnen wohl in den Mund gelegt haben könnte, und erläutert dann noch kurz die Gemeinsamkeiten von Grit, Kessie und Charlie: Alle drei befinden sich im fünften Lebensjahrzehnt, lieben Hunde (Grits Hund ist verstorben, Kessies Hund ist krank und Charlies Hund zettelt ab und zu Blutbäder an und wartet auf seine Kastration, die Charly immer wieder aufschiebt), sind berufstätig, unverheiratet (die Schriftstellerin Grit lebt in einer Beziehung und flüchtet vor der Vorstellung des sich vor der Tür abzeichnenden gemeinsamen Wohnens in einen Schrebergarten, den sie eventuell nicht lange behalten darf, die Lehrerin Kessie ist Single und trifft in ihrer Heimatstadt überraschend und mit ungewissen Ausgang auf ihre Jugendliebe und die Schauspielerin Charly unterhält ein Techtelmechtel mit drei sich dabei abwechselnden Herren, die ihrerseits teilweise familiär gebunden sind) und haben keine Kinder. Es folgt ein Kurzvortrag der Autorin über die „Pathologisierung der Kinderlosigkeit“ – das erste Highlight des Abends und absolut treffend auf den Punkt gebracht: „Warum ist sie allein, was ist mit dem Vater, wo ist der hin? Naja, irgendwas wird schon vorgefallen sein…“ / „Warum hat sie keine Kinder? Wollte sie keine? Konnte sie keine bekommen? Die Ärmste!“ Als ehemaliger Bewohner einer Vorstadt-Eigenheimsiedlung habe ich das alles schon so oft gehört, und immer mit mitleidig-abwertendem Unterton.
Nun aber zum Inhalt der Lesung und auch des Romans: Mit drei optimal ausgewählten Passagen des Buches stellt Stefanie de Velasco Grit, Kessie und Charly den Zuhörenden vor. Dabei verrät sie nicht zu viel von der Handlung, aber genug, um einen Einblick in die unterschiedlichen Charaktereigenschaften der drei Freundinnen zu geben und über deren gegenwärtige Lage zu informieren. Ich schreibe bewusst „Lage“ und nicht „Probleme“, obwohl die erzählten Umstände durchaus in die letztere Kategorie eingeordnet werden könnten. Wäre da nicht die leichte, humorvolle und teilweise leicht flapsige Erzählweise, die deutlich macht, dass das Hadern mit Geldnot und der Ausgestaltung der Beziehung (Grit), die Erkrankung der Mutter und die daraus resultierende Hilflosigkeit und Notwendigkeit einer Heimunterbringung (Kessie) oder die aus dem selber angezettelten Techtelmechtelchaos resultierende Unklarheit über den Urheber der jüngst festgestellten Schwangerschaft und eine gleichzeitig überraschend angebotene Hauptrolle (Charly) ganz normal zum Leben dazugehören.
Als unterteilendes Element zwischen den einzelnen Erzählabschnitten verwendet Stefanie de Velasco Auszüge aus einem WhatsApp-Chat, überschrieben mit „Dogville“, womit hier nicht der gleichnamige Film von Lars von Trier, sondern die hundeliebende Bundeshauptstadt gemeint ist. Der Stil, in dem die jeweiligen Textbeiträge verfasst sind, sagt viel über die Verfasserinnen aus: Charlie nervt beispielsweise mit permanenter Kleinschreibung, Interpunktionsvermeidung und dem häufigem Gebrauch des Wortes „Fotze“ und wird mir dadurch gleich unsympathisch. Was sich jedoch im Verlauf der Handlung glücklicherweise wieder legt. In den Chat-Auszügen offenbaren sich die unterschiedlichen Herangehensweisen der drei Freundinnen an das Leben und im Verlaufe der Handlung wird erkennbar, dass jede von ihnen unverzichtbar für die beiden anderen ist, wodurch mir alle drei von Seite zu Seite mehr ans Herz wachsen.
Das Buch lässt sich schnell durchlesen und hat praktisch keine Längen, die Dialoge stammen mitten aus dem wirklichen Leben und obwohl hier nicht eine oder drei abgeschlossene Geschichten erzählt werden, sondern ein Zeitabschnitt aus dem Leben der drei Protagonistinnen herausgegriffen wird, innerhalb dessen eben einige Geschichten passieren, bleibt es bis zum Schluss spannend. An einigen Stellen habe ich gewissermaßen mit der einen oder anderen der drei mitgefiebert und gehofft, alles würde am Ende irgendwie gut werden. Und auch damit verhält es sich in „Das Gras auf unserer Seite“ wie im richtigen Leben: Nicht alles (Schrebergarten, Jugendliebe, Traumjob-Techtelmechtel-Gemengelage) geht sich so aus wie geplant oder erhofft, aber im Großen und Ganzen fügt sich alles so zusammen, dass das Leben erträglich und gut weitergehen kann, und daran haben gute Freundinnen und Freunde einen entscheidenden Anteil. Das Gras ist also auf der anderen Seite nicht zwangsläufig grüner als auf unserer, bzw. in Berlin genauso grün wie im Oberharz, und mit dieser Gewissheit fahren wir dann gut gelaunt und bestens unterhalten nach Hause.