Von Matthias Bosenick (30.05.2023)
Das muss man bringen: 2009 als Trio Bad Rabbit gegründet, nach einer EP umbenannt in Sqürl, unzählige EPs, Soundtracks und LPs herausgebracht, zwischendurch zum Duo geschrumpft – und 2023 behaupten, „Silver Haze“ sei das Debütalbum. Dieser Move verlangt Jim Jarmusch und Carter Logan, den verbliebenen Sqürl-Musikern, offenbar einiges an Erwartungshaltungserfüllung (puh) ab, denn „Silver Haze“ setzt sehr wohl das Ambient-Drone-Noiserock-Konzept der beiden fort, klingt aber, nicht zuletzt auch wegen der prominenten Gäste, etwas zugänglicher als die Zweckveröffentlichungen zu den Filmen Jarmuschs oder den Experimentalplatten dazwischen. Der Lärm rückt weiter in die Mitte, könnte man sagen, und damit einen Schritt weg von dem, was Fans der ersten Stunde an Sqürl so liebten, nämlich die Kompromisslosigkeit. Fürs Radio empfiehlt sich „Silver Haze“ dann aber immer noch nicht, und das macht es versöhnlich. Hey, Charlotte Gainsbourg ist dabei!
Vielleicht liegt es ja auch nur daran, dass man – nicht zuletzt auch von Sqürl – Verstörenderes gewohnt ist, dass man „Silver Haze“ für leicht zugänglich hält. Bei Lichte betrachtet, also für sich gehört, birgt es dennoch so manche Untiefe, Stolperfalle und Nebelbank. Zunächst sind nicht alles Songs, viele vertragen die Bezeichnung Track oder Stück ganz gut. Dann sind alle diese Titel im schleppenden Tempo gehalten, wie es sich für, ahäm, Sludge, Doom, Drone gehört. Auch wenn die Gitarren an mancher Stelle angenehm kanalisiert und harmonisch zum Einsatz kommen, tirilieren sie wie zum Ausgleich an anderer Stelle quietschvergnügt und experimentell herum. Dem Faktor Zugänglichkeit zugute kommt bei Sqürl überdies grundsätzlich, dass Jarmusch und Logan ihre Musik warm spielen, und so gehen sie auch hier vor.
Natürlich spielt man ein Album mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Stimmen nicht allein zu zweit ein, wenn man keinen Black Metal macht. Gitarrist Jarmusch sowie Schlagzeuger und Keyboarder Logan borgen sich den Bassisten Arjan Miranda von den kanadischen Psychedelic-Rockern Black Mountain aus, für das Stück „Queen Elizabeth“ stibitzt er Mike Oldfield sogar die Tubular Bells aus der Asservatenkammer. Marc Ribot, verdienter Gitarrist unendlicher Projekte, Bands und Helden, darunter Tom Waits, tritt hier dreimal in Kraft, und das mal hübsch wohlklingend und dann wieder noisy und experimentell. Ebenso weitgereist ist Cellist Brent Arnold, der hier zweimal dröhnende Flächen mitzuerzeugen hilft. Und es gibt Vokalistinnen, neben Jarmuschs dunkel-gruselig gesprochenen und gesungenen Passagen: Anika Henderson von Beak> und Charlotte Gainsbourg setzen mit ihren helleren Stimmen einnehmende Kontrapunkte zur düsteren Musik.
Und düster ist „Silver Haze“ an so mancher Stelle. Die Single „Berlin ‘87“ trägt als Opener Erinnerungen an Jarmuschs wilde Jahre, sagt er, und das Stück lässt ahnen, dass seine Erinnerungen den Umständen entsprechend nebulös sein dürften. „The End Of The World“ trägt seinen Titel zu Recht, Sqürl fuzzen milde, aber bestimmt, und Jarmusch murmelt sich dazu Dunkelheiten in seinen glattrasierten Bart, die man gar nicht so genau verstehen will. Dagegen wirkt das mit Ribot eingespielte „Garden Of Glass Flowers“ gleich viel heller, schimmernder, beinahe frühlingshaft, positiv, so transluzent, melodiös und fragil, wie sie es darbieten. Gleich der nächste Song, „She Don’t Wanna Talk About It“ mit Anika und Ribot, ist dagegen ein stampfender Brecher, dessen zweistimmiger spröder Gesang an „Summerwine“ oder „Some Velvet Morning“ von Lee Hazlewood und Nancy Sinatra erinnert.
In „Il Deserto Rosso“ darf Ribot dann auf der B-Seite mit den anderen dreien seine experimentelle Ader ausleben und wilde Vögel über der roten Wüste kreisen lassen, als wäre eine Siebziger-Progband aus dem Ruder gelaufen und zu sandigen Ufern aufgebrochen. Mit der nachdrücklich flüsternden Charlotte Gainsbourg gerät das vergleichsweise klar instrumentierte „John Ashbery Takes A Walk“ dennoch zu einem Gruselstück. In der Art, wie Jarmusch zu Tubular Bells und Country-&-Western-Wüstenmusik dunkel singt, erinnert „Queen Elizabeth“ an die Musik seines Regiekollegen David Lynch, circa „Crazy Clown Time“. Im abschließenden Titelstück verlieren sich die drei Haupt-Eichhörnchen in spacigem Gedudel, dass es eine Freude ist, sie auf diesem Trip zu begleiten.
Natürlich findet man viele Elemente wieder, die man bereits von Sqürl, Eigenschreibweise in Majuskeln, kennt. Und das ist eine Menge, seit Jarmusch, Logan und Shane Stoneback 2009 für den Film „The Limits Of Control“ erstmals musizierend zusammentraten, damals noch als Bad Rabbit, was sie nur ein Jahr später zugunsten von Sqürl ablegten. Schon da wird es kompliziert: Das Trio reüssierte 2010 mit „EP #1“ – und 2013 erneut, allerdings mit abgewandelter Tracklist. Einer der drei Tracks taucht auch hier auf, ein weiterer 2014 auf „EP #3“ und einer bleibt nur dort zugänglich, also auch nicht auf „EP #2“ oder 2016 auf „EP #260“. Mit Jozef van Wissem schufen Sqürl 2014 den Soundtrack zu „Only Lovers Left Alive“ und 2016 das Live-Album „Live At Third Man Records“ zu Hause bei Jack White, jenes bereits als Duo. Es folgten 2017 der Soundtrack zu „Paterson“ und 2019 der zu „The Dead Don’t Die“ sowie 2020 das experimentelle Album „Some Music For Robby Müller“. Und „Silver Haze“ ist jetzt also das Debütalbum, schon klar. Wie auch immer, bei Sacred Bones gibt’s das in schwarzweißem Vinyl, noch ein Kaufgrund also.