Sqürl – Music For Man Ray – Sacred Bones Records 2024

Von Matthias Bosenick (11.06.2024)

Ein Regisseur macht Musik für anderer Leute Filme. Hier: Jim Jarmusch als Teil des lang schon zum Duo geschrumpften, als Bad Rabbit gestarteten Impro-Drone-Noise-Projektes Sqürl vertont vier restaurierte und um die 100 Jahre alte experimentelle Stummfilme des Surrealisten Man Ray. Das Gute bei Sqürl-Musik ist, dass sie auch ohne reale Bilder funktioniert – die Filme muss man nicht kennen, um von sich aus das Kopfkino eingeschaltet zu bekommen. Verrückt, wie solch weitgehend strukturbefreite Musik so einnehmend sein kann. Und so ganz auf Struktur verzichten wollen Jarmusch und Carter Logan ja auch nicht.

Vier Filme, vier Tracks, die alle ungefähr der Länge der Filme entsprechen, weil Sqürl sie live zum zu „Return To Reason“ gebündelten Film improvisieren, angepasst an das Geschehen auf der Leinwand. „Starfish“ als Opener begleitet „L’étoile de mer“ (1928). Zu sehen ist eine auf einem Skript des Darstellers Robert Desnos basierende Romanze mit potentiell mörderischem Ausgang, teils durch ein Prisma gefilmt und durchsetzt von Standbildern, zu dem Sqürl ihre Musik beinahe atmen lassen, aus sehr milden Drones eine streicherähnliche Musik herausschälen, durchzogen von verfremdeten und sehr bedächtig angeschlagenen, warmen E-Gitarren-Tönen. Zum Ende hin kommen percussive Effekte hinzu und etwas auf der Gitarre Gefrickeltes, das wie eine Mischung aus Meeresblubbern und unklar verständlicher Unterhaltung klingt, abgelöst von verbrummten Klangschalen.

„Leave Me Alone“ greift fließend den Drone auf, mit einem hellen und einem etwas dröhnenderen Ton, beide in ihrer Höhe gemächlich schwankend. Der Film dazu heißt auf Baskisch „Emak-Bakia“ (1927) und zeigt zwischen wechselnden Bildern eine Frau, die aus einem Auto aussteigt. Nach kurzer Drone-Zeit werden Sqürl zur Band, greifen aus dem Nichts einen Takt auf, den sie mit Percussion und klimpernd verzerrter Gitarre umsetzen. Die erste greifbare Struktur auf diesem Album, und das auch nur kurz, dann werden Sqürl schon wieder introvertiert und mit der dunklen, einsamen Twang-Gitarre lynchesk. Und dann wieder behutsam experimentell dröhnend, teilweise könnten Passagen Intros zu besonders depressiven Songs der Fields Of The Nephilim sein. Hier lösen Sqürl überdies Django Reinhardt ab, der im Original zu hören war. Und: Es sind bereits 37 Minuten vergangen.

Die zweite LP eröffnet „The Return“, quasi dem Titelsong also zu Man Rays Filmdebüt „Le retour à la raison“ (1923), der den englischen Titel „Return To Reason“ für diese Kompilation der vier restaurierten Filme gibt und der mit seine assoziativen Bildmontage als einer der ersten dadaistischen Filme überhaupt gilt. Der Track beginnt tieftrommelnd mit flirrendem Synthie-Geräusch, unterbricht sich für ein Dröhnen und kehrt dann abermals temporär zum flirrenden Galopp zurück. Mit drei Minuten sind Film und Musik in dieser Zusammenstellung am kürzesten geraten.

Das finale „Castle Of Dice“ zu „Les Mystères du Château du Dé“ (1929) über würfelspielende Maskierte ist dafür fast 27 Minuten lang und passt nicht auf nur eine LP-Seite, es ist also auf der zweiten LP unterbrochen, deshalb zählt die Vinyl-Version fünf Tracks statt der tatsächlichen vier. Das Stück beginnt so dröhnend, wie der Vorgänger endete, und entwickelt sich bald zum typischen schleppenden Sqürl-Track, doomig, düster, trotzdem warm. Bald verliert sich der Beat und die einsame Western-Gitarre bleibt übrig. Es folgen weitere Drones und verlassene, warme Gitarrenmotive. Dem Ausklang gehören zum erst dritten Mal annähernd klassisch instrumentierte Rockstrukturen, Sqürl mosten nochmal gebremst los.

So könnte es ewig weitergehen, es erstaunt erheblich, dass eine solche fast durchgehend strukturfreie Musik so angenehm für die Ohren und die Seele sein kann. Typisch Sqürl halt auch. Aufgenommen wurde „Music For Man Ray“ im Frühjahr 2023 im Centre Pompidou in Paris, als „Return To Reason“ anlässlich des 100. Geburtstags von Man Rays erstem Film aufgeführt wurde. Das Label brachte die Doppel-LP limitiert auch als schwarz-blaue Dada-Vinyl-Edition heraus, die schon jetzt 200 US-Dollar wert ist.