Von Matthias Bosenick (10.06.2024)
Drei Veröffentlichungen präsentiert David „Dave“ Schmidt alias Sula Bassana auf seinem Label Sulatron Records: Neu bis relativ neu „Bügeln“ von Minerall und „Moonseeds“ von Moonseeds sowie als Wiederveröffentlichung „Dreamer“ von Sula Bassana, das Debüt, mit dem der Bandkopf und Labelchef seine Solo-Aktivitäten vor 22 Jahren begann.
Minerall – Bügeln
Diese drei Leute haben Zeit. Und zwar unendlich viel. Das hört man der Musik von Minerall an, hier hat nichts ein absehbares Ende, und wenn man sich erstmal mit dem Projekt auf die Reise begibt, will man von einem Ende auch gar nichts wissen. Kurios genug, dass es sich bei „Bügeln“ um einen Jam handelt. Da betraten Leute das Studio, die wussten, was sie taten, und sie taten es. Zwei Tracks konzentrierte das Projekt aus der Session, die A-Seite „Bügeln (unerforscht)“ und die B-Seite „Sachebene“, beide um die 22 Minuten lang und jeweils nur ein Ausschnitt aus den Aufnahmen. Die Tracktitel und das Cover verweisen auf kryptisch-experimentelle Electro-Musik, aber davon sind Minerall sehr weit entfernt.
Minerall „Bügeln“ los ins All. Ein Effektgerät wie bei Hawkwind lässt die Maschinen rotieren, dann setzen vertraute Instrumente ein, eine Gitarre lickt lässig, ein Bass pumpt, das Schlagzeug nimmt Fahrt auf – und so bleibt es eigentlich die ganze Zeit über. Das Tempo ist überraschend hoch für so einen Trip, im oberen Midtempo, die Drums krauten los, und wenn Bass und Gitarre erstmal entfesselt sind, schlagen sie nach allen Seiten aus, besser: nach allen Saiten, die Akkorde werden offener, die Hallräume ebenso, der Bass schlägt Wellen und die Drums wirbeln dazu. Irgendwann ist es Zeit, Luft zu holen, alle fahren die Energie herunter, aber nicht zurück auf die Erde, im Gegenteil, es geht nur noch weiter hinaus ins All, es wird ambientartig. Und geht still in die „Sachebene“ über, die alles andere als das ist. Das Tempo gedrosselt, fokussieren sich die Saitenarme aufs Spacige mit Echo und Effekten, drehen fett die Regler hoch und auch wieder herunter, man nimmt gar nicht richtig wahr, wenn das Trio die Intensität und die Stimmung neu ausrichtet, man ist einfach mit an Bord und will das auch gar nicht mehr verlassen.
So weit draußen wie die Musik ist auch der Aufnahmeort: Das Trio traf sich in Hannover. Minerall besteht aus: Gitarrist Marcel Cultrera von der Wiener Band Speck, Schlagzeuger Thomas „Tommy“ Handschick aus Kiel von den Bands Kombynat Robotron und Earthbong sowie am Bass Labelboss David Schmidt. Die LP ist so gut wie gar nicht bearbeitet, was wundert, klingt die Musik doch wie komponiert und nicht wie improvisiert. Und „Bügeln“ soll nur ein Auftakt sein, da soll mehr folgen.
Moonseeds – Moonseeds
Wer kann, der kann auch ohne Skript hypnotisch-trancige Spacemusik zaubern. Bei Moonseeds handelt es sich um ein spontanes Projekt, bei dem selbstbetitelten Album um ebenso spontan vorgenommene Aufnahmen, die das Trio erst später verfeinerte und nun an die Öffentlichkeit bringt. Drei Leute, drei Tracks, benannt nach „Earth“, „Sun“ und „Moon“, alle so kosmisch wie diese Titel. „Earth“ startet mit einem gemächlichen Galeeren-Rhythmus, über den sich Gitarre und Bass legen, verhalten zunächst, bald amtlich gniedelnd, dazu groovend und das Schlagzeug darin bestärkend, dass es auch so etwas wie Fills gibt. Und dann drehen die drei Musizierenden so richtig ab, der Track steigert alle seine Elemente und das Trio entfacht einen Tornado, der erst spät langsam an Energie abnimmt.
Das war die A-Seite, fast 22 Minuten lang, und die B-Seite mit „Sun“ und „Moon“ nimmt insgesamt die gleiche Länge ein. „Sun“ überrascht dann gleich damit, dass man nonverbalen Gesang vernimmt, der in einen elend langsamen Sonnenuntergangs-Gitarren-AOR-Track mit ewig tapezierenden Synthies einstimmt. Man wähnt sich in den Siebzigern und will da auch gleich bleiben, so warm und entschleunigend wirkt dieser Track. „Moon“ greift den Spacetrip wieder auf, die Gitarre durchläuft so manches Effektgerät und rotiert gemütlich zum reduzierten Takt der Drums. Aus dem spacigen Trip gleitet die Orgel endlich in den Orbit, der Sound wir dichter, die Rübe auch, und zuletzt versuchen Aliens, die Hörenden zu entführen. Klappt nicht, die Moonseeds sind längst aufgegangen, man ist in einer eigenen Umlaufbahn unterwegs.
Zu diesen Aufnahmen kam es, als das Sechziger-Riff-Psych-Trio Seedy Jeezus aus Melbourne 2018 eine Tour durch Europa absolvierte und deren Gitarrist Lex Waterreus alias Mr. Frumpy (hier auch Synthies und Stimme) die Musiker Luzie Neudeck alias Komet Lulu (Bass) und David Schmidt alias Sula Bassana (Schlagzeug, Orgel, Mellotron) von der Band Electric Moon besuchte. Die drei ergriffen die Gelegenheit beim Schopf und improvisierten im Studio. Danach vergaßen sie die Aufnahmen, bis Lex im vergangenen Jahr nach Deutschland zurückkehrte und mit David die Tracks vervollständigte. Eroc, der inzwischen wahrhaftig überall – auch bei allen drei hier vorgestellten Veröffentlichungen – seine Finger an den Reglern hat, mischte die drei Tracks.
Sula Bassana – Dreamer
Nach 22 Jahren legt der Labelchef sein unter dem Alias Sula Bassana veröffentlichtes und komplett allein eingespieltes Solo-Debüt „Dreamer“ abermals neu auf LP auf. Anders als die beiden spacigen Impro-Alben weiter oben, ist „Dreamer“ zunächst trotz der psychedelischen Stoner-Note eher auf dem Boden verhaftet geblieben. Die Gitarren haben Fuzz, das Schlagzeug Tempo und die Stimme etwas mitzuteilen, sofern man offene Ohren hat, denn verständlich sind die schamanischen Gesänge ohne bewusstseinserweiternde Hilfsmittel nicht. „Dreamer“ kann auch riffen und rocken, so wie es die Erfinder des Spacerocks in den Sechzigern vormachten. Wenn ein Track schon „Dealer McDope“ heißt.
Aber dann ist auch gut, als drittes packt Dave „My Blue Guitar“ aus und lässt sie gently weepen. Hier wagt er dann doch den Schritt in den Space, reduziert das Tempo, es orgelt, gniedelt und schwirrt harmonisch umeinander, wir sind in den Siebzigern und von Hawkwind zu Pink Floyd gewechselt. Und das funktioniert, weil der Sound in seiner Dichte gleich bleibt. Die folgende „Nervenlähmung“ klingt, wie das Cover von „Bügeln“ aussieht: mechanisch, industriell, elektronisch, aus den Fugen geraten – also kein Bisschen mehr nach Rockmusik. Aus dem Stück entwickelt sich schlüssig das fast viertelstündige „Ananda“, in dem ein stiller Beat leise pluckert, auf dem aufgescheuchte Urwald-Tröten umeinander kreisen und ein Piano vereinzelte Orientierungspunkte setzt. Sobald man wahrnimmt, dass aus den Tröten Sitars wurden, wundert man sich, und sobald man sich auch damit abgefunden hat, dreht Dave seinen Fuhrpark auf, lässt die Maschinen kreischen, macht aus dem Trip einen Alptraum und entwickelt sogar aus dem chilligen rhythmischen Pluckern ein echtes Schlagzeug, zu dem irgendwelche Geisterstimmen herumächzen. Erstaunlich! Dem muss einfach etwas folgen, in dem man sich als Psychedelik-Hörer zurechtfindet: zehn Minuten Pink Floyd wären fein, ein frei interpretiertes „Baby Blue Shuffle In D Major“ etwa, ein minimalistischer Beat zu spacigen Instrumenten jeglicher Couleur passt perfekt ans Ende.
„Dreamer“ erfuhr in den zurückliegenden 22 Jahren so einige Veröffentlichungen und erhielt insgesamt drei verschiedene Artworks, das vorliegende ist das der ersten CD-Version, designt vom Kollektiv Malleus, dem auch zwei Musiker von Ufomammut angehören. À propos CD-Version, die beiden Bonus-Tracks einer solchen späteren Auflage, „Perry Rhodan“ sowie das Syd-Barret-Cover „The Vegetable Man“, die zuvor auf Samplern oder als 7“ erschienen waren, finden keinen Einzug auf die neue „Dreamer“-Vinyl-Variante.