Von Matthias Bosenick (09.10.2024)
Der vielbeschäftigte Zauberdrummer Jörg A. Schneider haut gleich sechs international besetzte Veröffentlichungen am Stück heraus: Zwei seines, nun, Bandprojektes Teen Prime mit Gitarrist Sebastian Fäth aus Berlin, zwei Collaborations mit Thisquietarmy alias Eric Quach aus Montreal, eine mit Dirk Serries aus Antwerpen und eine mit Luís Lopes aus Lissabon. So entfesselt er auch bisweilen auf sein Schlagzeug eindrischt, so unterschiedlich sind diese improvisierten Alben geraten:
Teen Prime – No. 9
„No. 9“ besticht zusätzlich durch sein Format: Die fünf Tracks erscheinen als 10“. Dafür nahm das Duo die A-Seite gemeinsam im Studio auf und die B-Seite in getrennten Sessions. Es erstaunt immer wieder, dass das tatsächlich funktioniert, nicht nur komplett durchstrukturierte Musik in Studios nacheinander aufzunehmen, sondern auch Impro-Mucke, bei der es ja darauf ankommt, dass die Muszierenden aufeinander eingehen. Ohne diese Kenntnis wären einem vermutlich die Unterschiede zwischen A und B gar nicht weiter aufgefallen, mit ihnen ist man geneigt, zu denken, die A-Seite sei etwas ungezügelter als die B-Seite. Der Berliner Fäth gibt seiner verstärkten, aber nicht verzerrten Gitarre einen deformierten Surf-Twang, Schneider imaginiert sich dazu einen Rhythmus, den nur er spürt, die Tracks sind kantig, aufrüttelnd. Im Grunde auf der B-Seite ebenfalls, doch stellt sich da bis zum Finale „As Reference And“ das Phänomen ein, dass beide Instrumente zwar noch unbändiger zum Einsatz kommen, aber im Sound gemildert, sodass von dieser Melange eine entspannende Schönheit ausgeht.
Teen Prime – No. 10
„No. 10“ ist wieder ein Vollzeit-Album, und das beginnt mit etwas, von dem Schneider eigentlich vehement Abstand zu nehmen ankündigte: In „Avant Primitive“ ist Gesang zu hören. Gesampelt vermutlich, wie überhaupt Teen Prime nicht selten von Sample-Einsätzen leben, das zieht sich über sämtliche neun Veröffentlichungen (nur neun, denn „No. 6“ existiert nach wie vor nicht und wird wohl auch nie erscheinen).
Auf diesem Album gebiert sich das Duo noch ungestümer als auf der vorherigen EP, die Drums klingen durchdringend wie bei sehr harter Gitarrenmusik, dafür bleibt die Gitarre zwar unverzerrt, aber noch chaotischer gespielt. Sobald man sich zwei Tracks lang an diese angenehm unbequeme Brutalität gewöhnt hat, fahren die beiden Musiker die Regler herunter: „The Singer“ ist eine dreizehnminütige Live-Improvisation, gemeinsam im Studio aufgenommen. Der Track beginnt still, Schneider rollt auf seinem Schlagzeug, klickert, klackert, zischt, jazzt, und Fäth findet dazu passende entspannte Töne, alsbald gar Melodien. Die beiden versinken allmählich in ihrer Kontemplation und steigern sich mehr und mehr in die Sounds hinein, auf eine Weise, dass man die Intensitätssteigerung kaum bewusst wahrnimmt, vielmehr einfach mitgerissen wird.
Die B-Seite eröffnet mit dem zweiten und letzten gemeinsam im Studio aufgenommenen Stück: „Queenie Le Boogie“ ist der Gegenentwurf zu „The Singer“, brutal, schrammelig, aufmüpfig, lärmend, mit dem dreitönigen Gitarrenhook, das Fäth fortwährend zwischenschiebt, an die Dekonstruktion von Fünfziger-Rock’n’Roll erinnernd. Der Rest des Albums ist, wie der Anfang, getrennt eingespielt – nein, ohne dieses Wissen käme man nicht darauf. Den beiden gelingt es immer wieder, dass man als Hörender den Eindruck bekommt, auf vertraute Strukturen zu stoßen, aus der Urzeit der Stromgitarrenmusik, irgendwann aus den Vierzigern, Fünfzigern, den Quellen des Rock’n’Roll, die hier als Relikt auf dem Grund des Brunnens durchschimmern, aus dem Teen Prime ihre eigensinnige Improvisationskunst schöpfen. Damit setzen sie Ankerpunkte, von denen aus man als Hörender einen leichteren Zugang in die Abgründe der freien Musik findet. Für „An Assessment In The Course Of Empty Gestures“ etwa findet Fäth einen Offbeat, den Schneider wiederum komplett ignoriert. Fäth nach der Hälfte ebenfalls, dafür findet Schneider ausnahmsweise mal einen durchgehenden Takt, zu dem Fäth sanft gniedelt. Und das entstand tatsächlich getrennt voneinander? Das Duo entlässt die Hörenden mit einem entspannten „When We’ll Meet Up Yonder“ mit partiell rückwärts laufender Gitarre, und sobald es dazu kommt, möchte man auch wieder mit dabei sein.
Schneider | Serries
Zufälle gibt’s: Aus nicht rekonstruierbaren Gründen findet der Rezensent seine Mailadresse plötzlich im Verteiler von Dirk Serries wieder und hört sich seitdem gern durch dessen Oeuvre. Ein der Industrial-Szene entwachsener Impro-Gitarrist aus Antwerpen, der mit haufenweise Leuten zusammenarbeitet, mit Tomas Järmyr, dem Ex-Drummer von Motorpsycho, etwa als The Void Of Expansion. Als der Text dazu zur Veröffentlichung auf dieser Plattform anstand, erzählte Freund Arni, dass er von Serries einige Platten habe, nämlich vom Projekt Continuum, das Serries mit Steven Wilson von Porcupine Tree betreibt. Sowas. Wer in Serries‘ Impro-Reihe indes fehlte, war Schneider, und darauf angesprochen, erzählte der: Ja, Dirk kommt morgen zu mir, wir spielen das zweite Album ein. Ist das noch Zufall oder schon Koinzidenz? Danke, lieber Weltengeist!
Das erste gemeinsame Album gibt’s nun auf Vinyl, und darauf finden beide Musizierende stillere Töne, als man erwartet hätte. Beide halten sich zurück, der gemeinsame Rausch umfängt die Hörenden wie nebulöse Watte, in der feste Strukturen zu erahnen sind. Für „Enhance The Machine“ etwa wählte Serries einen leicht angezerrten Sound, den er akkurat und behutsam anschlägt und damit Töne erzeugt, die ähnlich auch auf „Laughing Stock“ von Talk Talk zu hören gewesen sein könnten. Zwar haut Schneider dazu auch auf seine Felle, lässt aber die Hi-Hats dominieren und sie den Eindruck von Rausch unterstreichen. Bald kippt Serries trunken ins Schräge und Schneider intensiviert sein Spiel, der Track erfährt dadurch eine Neigung, keine Steigerung.
Aber keine Angst, die beiden können Lärm, die beiden machen auch Lärm. Zumindest ist „Mechanical Collapse“ die Umsetzung des Titels in Sound und ein noisiger Abschluss der A-Seite. Dafür beginnen sie die B-Seite mit „Complex Particle System“ umso chilliger, wenn auch ebenso wenig auf herkömmliche Weise strukturiert: Drones können schließlich auch leise sein, steigern kann man sich immer noch, und das passiert hier auch, gemächlich und gemütlich ins Unbequeme. Für „Force Regeneration“ zersägt das Duo Hawai’i-Musik, ein lysergsaurer Dick Dale taumelt am Strand herum und rempelt ständig die Surfer an, aber mit dem Tempo einer Flipperkugel, und damit ist nicht der Delphin gemeint. Insgesamt weniger Drone als erwartet, aber deshalb nicht weniger gut gelungen – auf das zweite gemeinsame Album darf man äußerst gespannt sein.
Schneider | Thisquietarmy – I
Die Session mit Thisquietarmy alias Eric Quach aus Quebec, genauer: Montreal, aber da ist kein Q drin, schade also, dass er Gitarre spielt und nicht Quetschkommode, also: Diese Session gestaltete sich derart ergiebig, dass Schneider und er sie zweiteilen. Vier Zehnminüter gibt es hier auf Vinyl, drei Viertelstünder und einen Zwanzigminüter schieben sie auf CD nach. „I“, also das Vinyl, beginnt damit, dass sich die beiden Raubkatzen behutsam umschleichen, und alsbald lassen sie ihre Kräfte ungezügelt heraus. Für den zweiten Track „Battle Of Anihilation“ (sic) stürmt Schneider auf seinem Schlagzeug ungebremst los, nicht wutentbrannt, sondern ausdauernd, energetisch, kraftvoll, gehetzt, und Quach ringt seiner Gitarre noisige Drones ab, aber milde, und die Kombination ergibt für Menschen mit entsprechender Neigung einen angenehmen Entspannungssound.
In der Folge bearbeitet Quach sein Instrument mit allerlei Pedalen, lässt es wabern, vibrieren, wimmern, kreischen, Flächen erzeugen, klimpern, Drones generieren, flirren, was ihm gerade einfällt, was deutlich mehr ist, als man als Hörender ahnt, folglich fortwährend überrascht wird, und Schneider begleitet ihn wie auf einem Schlachtross, also nicht einem Ross, das geschlachtet wird, sondern das in die Schlacht zieht, und zwar umfassender bewaffnet als gewöhnlich, er lässt keine Lücken, fährt den vollen Angriff, komplett ohne Deckung, immer nach vorn.
Schneider | Thisquietarmy – II
Auf der CD setzt sich diese Vorgehensweise fort, und zwar noch ausufernder. Hier senkt Schneider seine Armierung auch mal ab, in „Bait And Bleed“ etwa, dessen Titel eher nach dem Gegenteil klingt, das der Track mit etwas Anlauf dann auch noch erzielt. Obschon die Tracks auf „I“ für sich gesehen bereits Überlänge haben, bekommt man den Eindruck, auf „II“ hätten sie noch mehr Zeit zum Atmen. Mehr Versunkenheit, mehr relaxtes Vorangehen, mehr Raum für weite Sounds; in „Herringbone“ etwa scheint die Gitarre so weit weg zu agieren, dass sie eine Kuppel hoch über dem Schlagzeug mit unendlichen dicken Linien bemalt.
Der letzte Track „Rainbow Codes“ ist die Antithese zu allen vorherigen: Er ist der reine Atem, die mit Instrumenten nachempfundene Stille, der akustische Blick ins Nichts. Aus der Tiefe, aus der Dunkelheit erheben sich zerbrechliche Töne, ein leises Fiepen, ein verdeckt dräuendes Schwirren, ein Tusch auf dem Hi-Hat, ein dumpfer Schlag auf die Pauke. Das Schlagzeug bekommt eine langsame, nachvollziehbare Form, die Gitarre generiert harmonische Drones, man wähnt sich in den Siebzigern, in der Elegie des Krautrock, des Psychedelischen, in der Unendlichkeit zugerauchter Keller. Nach einer Viertelstunde senkt sich die endlos schreiende Gitarre herab, wird deutlicher, schwerer, das Schlagzeug ebenso, die Schläge werden dichter, der Raum füllt sich mit Sound an – und ebbt ganz unvermittelt ab. Denn eh man sich’s versieht, sind fast 22 Minuten vergangen. Gigantisch!
Schneider | Lopes
Deutlich zurückhaltender musizieren Luís Lopes, Free-Jazz- und Impro-Gitarrist aus Lissabon, und Schneider auf ihrer Zusammenarbeit, die live im Studio entstand. Die LP bringt es auf je einen überlangen Track pro Seite. „One Armed Bandit“ wirkt, als hielten sich beide Instrumentalisten erheblich zurück, um dem anderen nicht in die Quere zu kommen. Jeder frickelt für sich herum, setzt sein Instrument wie abrupt ein und aus, erzeugt willkürliche Töne – gut, das ist auch der Sinn hinter Improvisationsmusik –, tastet sich vorsichtig an den Mitspieler heran, lässt etwas vom Stapel, guckt, wie der andere reagiert, setzt noch einen drauf und bringt so in Zusammenarbeit die Fragmente übereinander. Alsbald trauen sie sich mehr zu, schalten auf Autopilot und vertraut darauf, dass inzwischen eine Übereinkunft gefunden ist, und so rumpeln und gniedeln beide drauflos. Melodien, Harmonien gibt es keine, es sind winzige, manchmal leicht gedehnte Einzeltöne, die Lopes da in Schneiders sämtliche Bauteile einbeziehendes Schlagzeugspiel wirft.
Auf der etwas längeren B-Seite „Danger Of Suffocation“ haben sie sich nun gefunden und intensivieren die Methode der A-Seite. Die Musik ist ein komplexer Brocken, der vieles zum Entdecken dabeihat, dessen Oberfläche paradox verschachtelt ist, MC Escher und Möbiusband Hilfsausdrücke, der vor einem steht und rüttelnd Aufmerksamkeit einfordert. Die bekommt er natürlich, aber sie verlangt einiges ab, zehrt an den Kräften. Von allen neuen Veröffentlichungen der Schneider Collaborations ist dies die am schwierigsten zugängliche, aber unzugänglich ist sie natürlich nicht.
Schneider Collaborations auf Bandcamp