Von Matthias Bosenick (30.05.2025)
Folgt man dem Improvisations-Gitarristen Michel Kristof aus Paris virtuell, bekommt man stapelweise Aufnahmen von mitgeschnittenen Free-Jazz-Impro-Abenden, die in Aulnay Sous Bois stattfanden. Dabei handelt es sich um eine Stadt im erweiterten Bebauungsgürtel von Paris. Auf Youtube sieht es aus wie bei einem der Musizierenden zu Hause, und da Kristof die feste Größe in der Zusammensetzung der Akteure ist, kann man davon ausgehen, dass man im Hintergrund auf seine Plattensammlung blickt. Zweitfesteste Größe ist Schlagzeuger Makoto Sato, der auch auf den folgenden beiden Aufnahmen zu hören ist, die es beide als name your price bei Bandcamp zu finden gibt.
Florent Manevoh, Jérôme Fouquet, Michel Kristof, Makoto Sato – Lightship (2025)
Man darf gerne für schräg halten, was das Quartett hier zusammenträgt. Insbesondere Florent Manevoh mit dem Alt-Saxophon und Jérôme Fouquet mit der Trompete holen alles aus ihren Instrumenten heraus, was an Dissonanzen verfügbar ist: Es quietscht, dröhnt und röhrt – zwischendurch, denn die beiden sind durchaus dazu bereit und in der Lage, ihren Instrumenten fürs ungeübte Ohr gewöhnliche Töne abzuringen.
Ebenso verfährt der Schlagzeuger Sato, der eingangs wild auf sein Set eindrischt, in der Folge aber einen nachvollziehbaren Takt zulässt, auf dem die drei Instrumentalisten ihren Tätigkeiten nachgehen. Bei dieser Session hält sich Kristof selbst etwas im Hintergrund, er fügt sich in den Sound der Blasinstrumente und den Rhythmus des Taktgebers ein.
Drei Tracks bietet dieser Mitschnitt: Im vierminütigen Titeltrack rüttelt sich die Zusammenkunft zurecht, lässt dann zwölf Minuten lang das nicht bei The Cure abgeguckte „Other Voices“ entspannt vor sich hin mäandern und dreht dann für weitere vier Minuten im nicht bei Soul Asylum abgeguckten „Runaway Train“ mächtig auf, mit irrsinnigem Tempo und wahnwitzigen Kapriolen. Mitgeschnitten am 20. Januar 2025.
Henri Herteman, Claude Parle, Michel Kristof, Makoto Sato – Fisheye (2025)
Man kann auch mit Akkordeon und Posaune freien Jazz improvisieren. Claude Parle bedient hier das Instrument, das man stereotyp mit Paris in Verbindung bringt und das im Bunde mit dem Banjo und dem Dudelsack ungerechtfertigt als Instrument der Hölle bezeichnet wird. An der Posaune hält Henri Herteman dagegen, Sato und Kristof bleiben in ihren Gewerken. Unterteilt ist dieser Mitschnitt in vier durchnummerierte Parts: der erste dauert 25 Minuten, der zweite 13, der dritte fünf und der letzte elf.
Erstaunlich, wie nahe Schönheit und Schmerz beieinanderliegen. Alle Instrumente sind, wie bei vorhergenannten Mitschnitt, bestens zu Wohlklang geeignet, und die vier Musiker demonstrieren auch immer wieder, dass sie die Fähigkeit dazu haben, ihre Apparaturen traditionell einzusetzen, doch erfolgt dies selten überhaupt und noch seltener unisono. Herteman ringt seiner Posaune nicht selten Knarzgeräusche ab, die man mit etwas Böswilligkeit als Soundtrack der Flatulenz ausmachen könnte, während Kristof dazu auf seiner mal mehr, mal weniger gedämmten Gitarre gniedelt, Parle das Akkordeon laut ein- und ausatmen lässt und Sato auf seinem Schlagzeug wild herumrauscht bis -dengelt. Wie in Wellenform wechseln die vier in jeweils eigener Frequenz zwischen Dissonanz und Harmonie, mit dem Ergebnis, dass der Anteil an Lärm und Schönklang fortwährend wechselt, man also beide Enden der Skala in wechselnder Gewichtung zu hören bekommt. So kommt es, dass inmitten einer von reduziertem Schlagzeug begleiteten Posaune-Gitarre-Kaskade das Akkordeon klingt, als säße man an einem lauen Sommertag an einer Pariser Straßenecke im Café beim Pernod.
So können eben auch mal alle vier gemeinsam das Pandämonium ausrufen oder für kontemplative Entspannung sorgen. Mit den kakophonischen Momenten fordert das Quartett die Mithörenden zwar einigermaßen heraus, weiß dies aber auch und lässt dann die Welle auch wieder abebben. Dieser Mitschnitt hat so manche gemütliche Sequenz zu bieten, die den Zugang zu dieser Art improvisierter Jazzmusik deutlich erleichtert und für die Eruptionen vorbereitet. Denn auch diesem Lärm liegt eine Schönheit inne. Mitgeschnitten am 20. April 2025.
Guckt man sich auf Kristofs Bandcamp-Seite um, bekommt man einen Dahlschlag. Stand heute sind dort exakt 250 Alben gelistet, das älteste vom Juli 2011. Viel Freude beim Erkunden!