Von Matthias Bosenick (02.07.2024)
Zwei neue LPs bringt René Seim auf seinem Label Head Perfume Records heraus: „Counting Backwards Again“ von Aquarian Blood aus Memphis, Tennessee ist psychedelischer Wüsten-Indie und „Endless Beat“ von Faz Waltz aus Cantù in Italien ist in der Garage gezüchteter Rock’n’Roll.
Auqarian Blood – Counting Backwards Again (Black&Wyatt/Beluga/HPR)
Das geht schon psychedelisch los: Mit Gesängen, wie man sie sich dereinst von nordamerikanischen Ureinwohnenden vorgestellt hatte, eröffnen Aquarian Blood ihr – nun – sechstes? Album „Counting Backwards Again“ und deuten damit schon mal an, wo zunächst die Band und alsbald auch die Hörenden sich aufhalten: irgendwo in der eher einsamen Prärie Nordamerikas, in der Gesellschaft von Leuten, die wissen, wie man aus dem Wenigen, das da so wächst, bewusstseinserweiternde Substanzen extrahieren kann. Reduziert, beinahe minimalistisch gehen Aquarian Blood ihr Werk an und vermengen Experiment mit Wohlklang, etwa angenehme Melodien und sanftes Gitarrenspiel mit außerkörperlicher Stimme und elektronischen Pew-Effekten.
Man wähnt sich in einer Hippie-Zeit, in der sich die musikalische und künstlerische Freiheit jenseits von Formaten erst noch entwickelt und jeder Schritt einen auf unbekanntem Grund darstellt, man sich zögerlich vorwärts bewegt und vorsichtig Dinge ausprobiert, die unüblich sind, um so weder die Hörenden noch sich selbst zu überfordern, aber auch nicht mit Stereotypen zu langweilen. Die zwölf Songs sind daher recht unterschiedlich geraten: Etwas wüstenstaubiger Blues mit Banjo nach Art von Hugo Race oder 16 Horsepower, etwas hypnotischer Zwiegesang wie bei Dead Can Dance, keine typischen Drums, selten beatbetonte Percussion, meistens ein angeschlagener Schellenkranz, Mundharmonika, akustische oder E-Gitarre, Flöte, Geige, synthetische Effekte und immer wieder der Wechsel oder das Zusammenspiel von weiblicher und männlicher Stimme. Erstaunlich, mit wie wenigen Mitteln die vielköpfige Band hier so vielseitige Musik zaubern kann. Überdies lässt sich „No Sympathy“ in dieser Fassung kaum mit der Version von Peter Tosh oder Bob Marley vergleichen, so sehr in die einsame Wüste verlegt die Band es.
Die Köpfe hinter Aquarian Blood sind seit nunmehr zehn Jahren die Eheleute Laurel und JB Horrell. Beide singen, JB spielt Gitarre, Bass, Schlagzeug, Synthies und Flöte, Laurel Percussion und Harmonika. Nebenbetätigungsfelder sind bei JB Ex-Cult (das ist der Bandname; auch Sex-Cult, aber nicht Ex-Mitglied von The Cult), beide waren auch bei Moving Finger. Weitere Mitspielende sind: Keith Cooper am Synthie, die Gitarristen Jesse James Davis und Robbie Grant, Percussionist Michael Peery und Schlagzeuger Jeremy Speakes. „Counting Backwards Again“ stellt den Abschluss einer Trilogie dar, die mit „A Love That Leads To War“ (2019) und „Bending The Golden Hour“ (2021) begann.
Faz Waltz – Endless Beat (Spaghetti Town/Ghost Highway/HPR)
Hier scheppert alles, das Trio aus Italien übersteuert alles, auch sich selbst. Boogie Woogie, Rock’n’Roll, so, wie er in den Fünfzigern das Feuer entfachte, hier nur als Brandbeschleuniger aus der Garage heraus gedacht. Das Piano treibt alle an, daran hätte Jerry Lee Lewis sicherlich Freude gehabt. Sänger Faz La Rocca kreischt und hämmert aufs Klavier, das Saxophon bluest auch mal, ab und zu soliert die E-Gitarre, Diego Angelini groovt den Bass, Marco Galimberti drischt die Drums, der Sound ist fett und räudig, die Attitüde authentisch. Und weil wir uns gedanklich in den Fünfzigern befinden, ist in den nur 25 Minuten Spielzeit auch Platz für eine klassische Paul-Anka-Schnulze – und der Rauswerfer klingt wie die The-The-Version von Hank Williams.
Für das Trio ist „Endless Beat“ bereits das neunte Album, eine Single mit den beiden ersten Songs ging dem Album voraus, das selbstbetitelte Debüt erschien 2010. Früher flocht die Band in ihre Retroseligkeit auch noch Glam ein, eine kuriose epochenübergreifende Mischung, die die Italiener nun zugunsten einer brennenden Milchbar aufgeben. Immerhin den punknahen Garagensound behalten die drei Männer bei, moderner als das wird es hier nicht. Die Songs sind so sehr an der Zeit gehalten, dass man die ganze Zeit den Eindruck hat, sie bereits zu kennen. „Endless Beat“ reißt allein damit schon die Leute von den Hockern, zusätzlich zu der Energie, die hier aus der Rille quillt.
Beide LPs sind bestellbar auf headlust.de.