Von Marc Lücke (13.04.2020)
„Ich möcht‘ kein Lo-Fi-Spießer sein, ich höre Abwärts und auch Slime“, sangen Tocotronic schon 1995 in ihrem Song „Es ist einfach Rockmusik“. Und eben dieses Bekenntnis der Hamburger Schule zur 1979 gegründeten Punkband Slime gilt selbstverständlich auch für den Verfasser dieser Zeilen. Was allerdings dabei nicht gilt, ist die Feststellung, „Es ist einfach Rockmusik“, denn bekannterweise sind Slime, ebenfalls aus der Stadt an der Elbe, DIE Vorreiter und Veteranen im deutschen Politpunk schlechthin.
Die Combo um Frontmann und Sänger Dirk „Dicken“ Jora, der seit 1979 am Mikrofon steht, machte sich früh einen Namen mit antifaschistischen Texten und übte auch seit den 1980er Jahren einen nicht schönzuredenden Einfluss auf die autonome linke Szene in ganz Deutschland aus, der sich in Titeln wie „Bullenschweine“, „A.C.A.B.“ (All cops are bastards) oder „Polizei – SA/SS“ manifestierte. Die müßige Diskussion um musikalische Ermunterung unter Umständen gewaltbereiter Teile der autonomen Szene erspare ich dem Leser gern, denn es soll um das neue Album gehen.
Von Anfang an hatten Slime regelmäßig Ärger mit staatlichen Institutionen wie der Bundesprüfstelle für Jugend gefährdende Medien, der Staatsanwaltschaft und dem Verfassungsschutz. Auch der Vorwurf der Volksverhetzung stand oft im Raum. Dagegen war „Claudias Schäferhund“ bei den Ärzten fast noch harmlos. Das Verbot des Slime-Titels „Deutschland muss sterben“ scheiterte aber im Jahr 2000 vor dem Bundesverfassungsgericht. Geld für Anwälte war also da.
20 Jahre später, im Frühjahr 2020, präsentieren Slime nun also dem geneigten Zuhörer und dem, der es erst werden will, ein 13-Track-Album vollgepackt mit rauem, aber melodischen Deutschpunk wie aus dem Lehrbuch, das es ja bekanntlich gar nicht gibt. Mit Funpunk hat das rein gar nichts zu tun. Der Titelsong „Wem gehört die Angst“ geht gleich zu Beginn voll nach vorne los und thematisiert textlich, wie täglich die Mainstream-Medien und ihre geldgeilen Trittbrettfahrer Profit machen mit „der Designerdroge Angst“ (O-Ton Slime). Gleich im zweiten Song „Fette Jahre“ stellen sie fest, dass die Leute ihre Ideale aufgeben für den maßlosen Konsum. Doch „…die fetten Jahre sind schon bald vorbei“. „Wir sind für Frieden viel zu selbstzufrieden“, stellen Slime fest.
Musikalisch überzeugen die Hamburger mit rotzigem Gesang von Dirk „Dicken“ Jora und solidem Drei-Akkorde-Gitarrengeschrammel. Am Bass zupft seit 2010 „Nici“, die einzige Frau in der Band, sie kam von den „Mimmis“, ist also nicht neu im Genre Punk. Der Titel „Weißer Abschaum“ rechnet kompromisslos ab mit rechtsradikalen Tendenzen mitten in unserer Gesellschaft. Slime hauen immer wieder in die gleiche Kerbe, ohne zu langweilen. Ihre Protestsongs sind glaubhaft authentisch und ohne Verdacht auf eine leere Attitüde. So kennt man sie.
Eine Liebeshymne auf die „Gute alte Zeit“, also die Jahre, als Punkscheiben noch schwindelerregende Auflagenzahlen erreichten und jugendliche Punks in Lederjacken in der Fußgängerzone abhingen. Und auf ihre linken Ziele. „Und Rio Reiser sang vom Paradies“ klingt ganz gefällig, viel mehr aber auch nicht. Einer der stärksten Titel des Albums ist „Die Suchenden“ mit Ska-Anleihen und geilen Gitarrenriffs. Bei „Wenn wir wollen“ malen Slime Bilder von allgegenwärtigen Umweltkatastrophen und ihren Folgen. Wenn „Dicken“ in „Ebbe und Flut“ zugibt, er „habe sich verbogen auf der Jagd nach dem Geld“, denkt er inzwischen altersweise ganz sicher auch zurück daran, wie er nach der zweiten Bandauflösung 1994 auf einem Haufen Steuerschulden saß, sich als Taxifahrer durchschlug, um letztendlich von Arbeitslosengeld zu leben. Mit Behördengängen kannte er sich ja schon gut aus aufgrund von Slime-Texten wie „Polizei – SA/SS“.
Wut und Trauer der Altpunks entladen sich im Song „Die Masse“, denn die „läuft hier jedem Idioten hinterher“, ohne dass der Texter Politiker oder eine bestimmte Partei nennt, was wohl juristisch auch mehr Bestand haben dürfte. Aber die Abneigung gegen alles, was von rechts kommt, ist zu jeder Zeit präsent. Mit „Kein Mensch ist illegal“ beziehen die Punks Stellung zur aktuellen Einwanderungssituation im Land und „raus aus Europa sollen alle Nationalisten“. Etwas dünn.
Mit dem Schlachtruf „So…, So…., Solidarity“ fordern Slime nochmal gegen Ende der Platte ihre Hörer, und damit das linke Spektrum, auf, sich zusammenzurotten, die Faust zu erheben gegen den alten Feind Faschismus. Dies gelingt ihnen mithilfe eines Gitarrensolos der „Internationalen“. „We need to stand together, to beat the other side“, proklamieren sie nochmal, als der eingängige Refrain längst zum Ohrwurm geworden ist. Wem also gehört nun die Angst? Dem Hörer dieses insgesamt doch noch starken neuen Albums jedenfalls ganz bestimmt nicht.