Von Matthias Bosenick (14.11.2023)
Das dürfte ein schöner Soundtrack für den Herbst sein, was der Musiktüftler Sébastien Guérive aus Nantes auf „Obscure Clarity“ anbietet: Partiell zwar rhythmische, elektronisch basierte Musik, aber doch eher schwelgerisch, träumerisch als zum Tanzen aufgelegt, und ganz viele himmelsstürmende Soundscapes. Man hat die Idee eines Soundtracks vor den inneren Augen und möchte gern den Film dazu sehen. Instrumentale Wohlfühlmusik für Unwohlfühlzeiten.
Das gerade gut halbstündige Album beginnt mit einem Beat, „On The Inside“ verführt in die Morgenstunden nach einer Clubnacht, geleitet die Hörenden in einen neuen Tag, in die Zeit nach dem Hedonismus, und da ist Entspannung, Ruhe, Rekonvaleszenz angesagt. Seine Tracks heben die Stimmung, ihm gelingt es leichtfüßig, auch mit wenigen Mitteln Positivität auszustrahlen, seine Akkorde streben in die Höhe, auch wenn er sie tief unten beginnen lässt, in eher dunkleren Gefilden. Erbaulich sind die Tracks, ob mit oder ohne dezidiert getupften Beats. Der Künstler selbst lässt den Begriff Neoklassik im Raume schweben wie seine Musik, und ja, manche Mittel, die er einsetzt, bestätigen dies, Pianotupfer, Streichersequenzen, textlose Chorgesänge. Doch die immer wieder einsetzenden reduzierten Beats lenken den Blick aus der Klassik heraus; da fühlt man sich zudem an die elektrokrautigen Experimente der Berliner und Düsseldorfer Schule erinnert.
Interessant ist, dass Guérive hier von einer „spirituellen Dimension“ spricht, die er mit der vergleicht, die sich beim Komponieren religiöser Musik ergibt. Es gehe um „das Gefühl der Erhabenheit im Kontrast zu dunkleren, rauheren Klanglandschaften und Texturen“, und das trifft sehr zu. Vereinzelte Unterstützung holte sich der Künstler für dieses Album von Arrangeur Grégoire Vaillant und Pianist Romain Pangaud.
„Obscure Clarity“ ist Guérives fünftes Soloalbum nach „La pensée errante“ 2002, „IO’N“ 2008, „Hullu“ 2015 und „Omega Point“ 2021, außerdem gab es einige Singles und EPs von ihm. Nach einem Cello-Studium schwenkte der Komponist auf elektronische Musik um und begann außerdem damit, Soundmaterial zu verfremden. Parallel zu seinen persönlichen Arbeiten komponiert er zudem für Tanz und Theater.
Mit „Obscure Clarity“ lässt es sich angenehm in den Herbst einsteigen. Es darf gern dunkler werden, Sébastien Guérive entzündet ein mild flackerndes Licht.