Schneider Collaborations – Zwei Veröffentlichungen – Schneider Collaborations/N 2024

Von Matthias Bosenick (20.06.2024)

Zwei neue Impro-Alben gibt’s aktuell von Freiflug-Schlagzeuger Jörg A. Schneider, und weil er so ein kompromissloser Nonkonformist ist, bricht er auch mit seinen eigenen Regeln – sie erscheinen außerhalb seiner eigenen Reihe „Schneider Collaborations“: nämlich einmal als The Nude Spur (mit Thomas Kranefeld), also quasi im Bandformat, und als N + Jörg A. Schneider (mit Hellmut Neidthardt), also auf der Plattform von jemand anders. Bei beiden handelt es sich um jeweils zweite Alben, die CD von The Nude Spur trägt den erbaulichen Titel „If They Move Kill ‘em“ und die Doppel-LP mit N heißt „Doverack“, sehr wahrscheinlich nach einer Straße in Hückelhoven.

The Nude Spur – If They Move Kill ‘em (CD)

Der Lärm geht weiter, Kranefeld und Schneider gönnen dem Gaul keine Verschnaufpause und treiben ihm den nackten Sporn in die Flanken. Während Kranefeld seine Gitarre schrammelt, rumpelt Schneider auf dem Schlagzeug herum. Beide nehmen sich nicht zurück, auch wenn Kranefeld seine Instrument nicht auf Anschlag verzerrt, sondern bewsingt auf ihm gniedelt, mal einzelne Töne, mal so etwas wie danebengegriffene Akkorde, mal Stakkatos, mal flirrende Geräuschwände, mal leiernde Sounds. Dazu rumpelt und ramentert Schneiders Drumkit, er dämpft da nix, die Snare klingt wie Stahl, alles ist hart und kantig, was nicht heavy bedeutet. Da toben sich zwei so richtig aus. Und gönnen den Hörenden in ganz ganz seltenen Fällen auch mal Momente der Orientierung, wenn dann ein Akkord mal klingt wie an der Tonleiter orientiert oder Schneider die Snare in gleichbleibendem kurzem Abstand drischt. Aber um Konfomität geht es hier ja nicht.

Auf dem selbstbetitelten Debütalbum von The Nude Spur, das quasi parallel zur Collaboration zwischen Schneider und Kranefeld erschien und eine andere Ausrichtung als jene hatte, lauteten sämtliche sieben Titel „Sheriff, You Forgot Your Pants“, jeweils durchnummeriert bis Sieben. Dieses Mal weiß der Sheriff, wer die Hosen anhat, denn alle Titel lauten dieses Mal wie das Album plus Index bis Sieben, bis auf den letzten, der heißt – ganz ohne Wildwest-Bezug, außer, man fasst „2001: Odyssee im Weltraum“ als Space-Western auf –, „Open The Pod Bay Door, Hal“. Und das Stück unterscheidet sich massivst vom Rest des Albums: Die beiden Musiker halten sich erheblich zurück, Schneider klickert ein bisschen, Kranefeld zupfgniedelft ein wenig, in der Form hätte das Stück auch als „Schneider | Kranefeld“ erschienen sein können. Naja, zumindest anfangs – die beiden steigern sich alsbald in ihren gewohnten Sound hinein.

N + Jörg A. Schneider – Doverack (Vinyl)

Einen ganz anderen Ansatz verfolgen Neidhardt und Schneider auf ihrem zweiten gemeinsamen Album, das sie als Schwester-LP zu „Schneider | N“ auffassen, das bereits Ende 2023 erschien und das seinerseits mit einem Track des Titels „Doverack“ abschloss. Zwar bedienen die beiden ihre Instrumente ähnlich avantgardistisch wie The Nude Spur, doch lassen sie sie völlig anders klingen. Jeder Ton hier strahlt Wärme aus, jeder Sound hat eine erhöhte Temperatur, wohligwarm und ummantelnd, die Snare klingt wie im nächtlichen Jazzclub, die Gitarre wie bei einem Ambient-Postrock-Projekt mit starker Schlagseite zum Drone. Was nicht zwingend bedeutet, dass das Duo gebremst vorgeht: Bereits auf dem Opener „Ankum“ flitzt Schneider nur so über sein Schlagzeug, nur wirkt es entspannter, weil die Sounds milder sind. Auch die von Neidhardt, der mit seinem dunkel flirrenden Spiel das Drumklickern ausbremst, so sehr sich Schneider auch ins Zeug legt. Und er legt sich, schon auf „Boehmen“ speedet er ordentlich los, und da kann auch Neidhardt seine Gitarre nicht mehr im Mollbereich halten, der Postrock-Sound bricht sich Bahn, und weil die beiden Musiker ja in allen Belangen befreit agieren, lassen sie Eindrücke wie diesen schnell wieder vergehen und schwenken in ihre selbstpersönliche Lärm-Kontemplation zurück.

Das Album wirkt wie ein Soundtrack auf dem Sprung zum Hörspiel, zum Kopfkino, die beiden Instrumente ergeben eine sehr dichte Atmosphäre, die dronigen Gitarren wie die rollenden Drums. Da verhält sich das Schlagzeug fast wie im Black Metal, nur ohne dessen Gleichmäßigkeit, es ergibt mit dem permanetnen Angeschlagensein eine eigene Soundfläche, zusätzlich zu der, die die Gitarren generieren, und die Kombination geht auf „Doverack“ plättend auf. Ein Wahnsinn, wie die beiden einen fetten Sound erzeugen, der ohne oberflächliche Schmerzen auskommt und sowas von voller Energie steckt, die sie in „Ense“ so richtig fuzzy austoben. So sehr, dass die letzte Viertelstunde mit „Fara“ vergleichsweise mild ausfällt.

Fünf Tracks in rund 73 Minuten schaffen die beiden auf zwei LPs, die auseinanderzuhalten schwer fällt, weil die Seiten mit willkürlich aufgeteilten Buchstaben des Albumtitels beschriftet sind, je zwei pro Seite. Egal ist das nicht, das Album hat eine nachvollziehbare Dramaturgie, einen wirkungsvollen Spannungsbogen. Lohnt sich laut und in Stereo, da passiert so viel!

[Edit 23.09.2024] Nachtrag von N:

„…übrigens: Die Label Beschriftung ist nicht willkürlich 😉
A: D (K)
B: O (C)
C: V (A)
D: E (R)“

Danke!