Von Matthias Bosenick (12.01.2022)
Eine neue Runde Entspannungs-Lärm von Jörg A. Schneider und einem Kollaborateur seiner Wahl, heute: Martin Gutjahr-Jung aus Koblenz, mit dem er bereits im Trio Bone Machine spielte und den er überhaupt seit über 25 Jahren noch aus BluNoise-Zeiten kennt. Heißt für diese LP: Schneiders taktfreies Schlagzeug trifft auf ebenso improvisiert gespielte Gitarre und Bass, was Sounds im Geiste von Jimi Hendrix, früher Swans oder dem Caspar Brötzmann Massaker ergibt, nur ohne die Songs dahinter, aber dafür so dicht atmosphärisch, dass man das Fehlen von Songs nicht als Versäumnis auffasst.
Was Gutjahr-Jung da aus seinen Saiteninstrumenten herausholt, deckt ein wahres Füllhorn an Noisemusik ab. Von Riffs keine Spur, er gniedelt, was das Zeug hält, er lässt die Gerätschaften wimmern, jaulen, echoen, flirren, dröhnen, heulen, klimpern, kratzen, schreien, ächzen, singen, und im Hintergrund fällt Schneider mit seinem Drumkit die Treppe herunter. Grandioses Zeug, kakophonisch, frei, luftig, und bei all dem behutsamen Lärm überraschend entspannend, wenn man ein Herz dafür hat.
Manche Gitarreneffekte meint man bereits von anderen Größen ihrer Zunft gehört zu haben, so dringt das Flirren von Jimi Hendrix durch, so dröhnt es wie bei Caspar Brötzmann, so wummert es wie weiland bei den Swans, und stets sind solche Assoziationen nicht mehr als genau das, und nicht etwa Kopien. Wenn man plötzlich Walgesänge zu vernehmen vermeint, muss man sich in Erinnerung rufen, dass man es hier tatsächlich nur mit Saiteninstrumenten zu tun hat, nicht etwa mit Samplern. Und an manchen Stellen scheint Gutjahr-Jung das Pizzicato eines Cellos auf seine Apparaturen anzuwenden. Ein wahrer Gesundheitsexperte, der Koblenzer weiß, was Menschen guttut.
Und dann ist da noch das Schlagzeug, an dem Schneider seinen Kopf ausschaltet und den Zufall walten lässt, mit einer Welle an Sounds, die sein Kit so hergibt, und immer im Sinne der vier Tracks, bedacht, wo es ruhig wird, rumpelnd, wo es effektvoll wird, zurückgenommen, wo die Saiten den Vortritt brauchen, und allein, wo die Wucht es erfordert. Die Mischung funktioniert großartig, und wie immer wundert man sich, dass beide Musiker ihre Anteile separat aufnahmen und alles dennoch so überzeugend klingt.
So etwas wie Noiserock, Indierock oder überhaupt Songstrukturen bekommt man hier gar nicht, trotz der im Grunde klassischen Besetzung, auch wenn die drei Instrumente hier von zwei Leuten bedient werden. Wer also bei der Konstellation auf einen Rückgriff in die Neunziger hoffte, wird sich überrascht die Ohren reiben – und sie hoffentlich offen halten für das, was es stattdessen gibt: feinsten Chillout-Lärm. Angepasst kann ja jeder.
PS: Vermisst jemand das Wort „Jazz“? Wäre durchaus zu erwähnen angebracht, ja.