Schlackrufe BRD 2 – Tutti Frutti Igitt Records 2024

Von Matthias Bosenick (09.27.2024)

Was ist hieran das größte Ereignis: dass es zu der wundervoll beknackten Idee, ein Mischgetränk namens Schlacke zu erfinden und dazu eine Tribute-Compilation herauszubringen, einen zweiten Teil gibt? Dass die 24 Beitragenden mit der Grundierung Punk das Zeug – Boonekamp mit Ahoj-Brause – allem Anschein nach tatsächlich probiert haben? Dass es satte 24 Musikstücke zum Thema gibt, die auch für Punkverhältnisse ordentlich produziert, arrangiert und komponiert sind? Dass sich doch so viele Reime auf „Schlacke“ finden lassen? Der Wahlbremer Nils Bauer alias Plautzenotto, selbst Beitragender hier, fügt diese Rasselbande aus Rasselbands auf seinem Label Tutti Frutti Igitt Records unter dem Banner „Schlackrufe BRD 2“ zusammen, das Tape ist leider bereits ausverkauft. Noch so ein Anwärter für das größte Ereignis in diesem Zusammenhang!

Beim Thema Mischung denken Punks natürlich zuallererst an Slime, und die werden hier mindestens zweimal zitiert, gleich im Opener „Diese Mischung“ von E-Aldi, und später in „Schaum im Mund“ von DonKanaille ebenfalls. Doch sind Heizöl und Benzin hier ersetzt durch Boonekamp, einen Magenbitter, und Brausepulver der Marke Ahoj. Merkwürdig nur, dass hier niemand der Musizierenden St. Vitus zum Kernthema macht. Dafür eben chemische Produkt Schlacke, in allen Ausprägungen, als Energizer, erfülltes Grundbedürfnis, Durstlöscher, Partydrink oder grundsätzlicher Freudenspender. Da kann man gut und gern 24 Lieder draus machen, ohne zu ermüden. Also, 24 zusätzliche zu den neun, die bereits 2018 als „Schlackrufe BRD“ erschienen.

Drei Projektnamen aus der zweiten Sammlung kennt man bereits von der ersten: Spucke, Schlackanfall und Plautzenotto, selbstredend. Erstere spielen minimalistischen, langsamen Rumpelpunk, zweitere preschen fett nach vorn und präsentieren den ersten Frauengesang in diesem Kreise und letzterer singt einen Ohrwurm zum Boom-Chicka-Boom mit Bläsern, „Schalalalalacke“. Macht 21 neue Musizierende in diesem Kreis – und man fragt sich: Wer sind die alle, wer steckt da hinter? Einige veröffentlichten auch separat auf Tutti Frutti Igitt Records, aber viele Bands scheinen exklusiv zusammengestellt zu sein. Und: haben die das Zeug ernsthaft alle probiert, um so überzeugend davon singen, schreien, growlen zu können? Zu sehr diverser Musik zudem, mal melodisch, mal mit Riffs, mal sehr powervoll, mal Oi, mal Electro, diese Mischung knallt ganz toll und sie ist so DIY wie das Getränk selbst.

Von Kem & The Trails etwa gibt’s mit „Tribute To Schlacke“ angeranzten Garage-Punk wie von The Sonics, Furzhölle KSK (steht für Kreissparkasse) betten „Alchemie“ in synthetischen Minimal-Electro ein, Unwucht aus Bremen machen aus „Boonekamp Ahoi“ eine zweistimmig gesungene Punkabilly-Version, die rein weiblich besetzte Combo Schlacke am Frauentag trägt ihren gleichnamigen Song a cappella vor, von Disconfect aus Bremen gibt’s mit „Abschlacken“ Speedpunk, Kadavertonne aus Bielefeld kombinieren auf „Verschlackt“ DOA-Gitarren mit Gruft-Growls, ebenfalls gruftig ist das passend betitelte „Schlacke oder Tod“ von Huchting 404 mit bei DAF abgeguckten Synthie-Beats, Schlacke 3000 verpacken „Not The Future Of Schlacke“ in retro-futuristischen Synthie-Electro mit Vocoder-Soulgesang, bei dem Projekt mit dem politisch unkorrekt verwendeten Begriff Fotze als Namen singt eine Frau und als Rauswerfer gibt’s von den Bremer Too Red Boys mit „Is nur Schlacke“ eine Portion fetten Skapunk.

Höhepunkte unter den Höhepunkten sind aber folgende: Das abwechslungsreichste und mit fünf Minuten längste Stücke ist „Kipp dir Schlacke rein!“ von 100.000 Tote aus Berlin, mit Lofi-Intro, Frickelei, Punk, Twang, Disco und Spoken-Word-Teil. Marianne Dosenberg verlegt sich mit „Brausepulver im Kopf“ gleich mal auf Piano-Schlager, Disco, Gitarrensolo und „Whiskey In The Jar“-Zitat. Evil Helldeather bekommen den Napalm-Death-Gedächtnis-Pokal: Ihr „Eine gute Schlacke dauert 1 1/2 Minuten“ dauert vier Sekunden. À propos: Punk-Subgenres mit der Endung –core findet man hier eher nicht, ansonsten so ziemlich alles, quasi Rotz, Rüpel, Rumpel – plus Ahoj!

Zu finden auf Bandcamp