Ronald R. Klein – Sandow: 30 Jahre zwischen Harmonie und Zerstörung – Verlag Andreas Reiffer 2014

Von Matthias Bosenick (21.04.2014)

Die Relevanz einer Band wie Sandow – oder besser: gleich konkret der Band Sandow – geht über ihr musikalisches Wirken weit hinaus. Bis auf den Hit „Born In The GDR“ kennt man von diesem Wirken selbst in informierten Kreisen wenig, Sandow sind und waren nie Konsensband, auch nicht in Ostrockkreisen. Dafür waren sie immer viel zu subversiv, inhaltlich wie formal. Das dokumentiert dieses Buch – aber eben noch viel mehr als das: auch den Kulturbetrieb der DDR sowie den Status einer nicht einmal im Osten breitenwirksam akzeptierten Band nach der so genannten Wende im vermeintlich wiedervereinigten Deutschland. Somit ist diese Biografie ein breit gefächertes Zeitdokument.

Wohl eher zufällig zum Thema Staatentrennung passend, ist auch der Inhalt zweigeteilt. Das erste Drittel nimmt die historische Nacherzählung ein, den Rest Interviews mit Wegbegleitern und Akteuren. Dabei erscheint die Historie wie eine Art Gerüst für den Kern der Dinge: Der Autor eilt schnellen Schrittes durch die Eckdaten und lässt die Musiker selbst anschließend das Fluidum dazu beitragen, das aus mehr als nur Information besteht. Das fordert dem Leser die Fähigkeit ab, die jeweils gegebenen Informationen und Berichte selbst zu kombinieren und in die korrekte zeitliche Abfolge zu bringen. Damit ist die Erzählstruktur vielleicht verwirrend, dafür ist dann eben die Struktur des Buches eindeutig.

Die Bandgeschichte zunächst liest sich fast wie ein Lexikoneintrag: Gegründet irgendwann um 1982 im namengebenden Cottbusser Stadtteil Sandow, sahen die Teenager zunächst wie Popper aus, wussten aber schon als schiere Dilettanten ihr Publikum mitzureißen. Bis 1989 hatte sich die musikalisch und inhaltlich schärfer werdende Band am DDR-Regime abzurackern, mit den Alben und den Experimenten ging es erst nach 1989 so richtig los. Sandow mischten in Theater, Hörspiel, Trommel-Happenings und dem etablierten Kulturbetrieb mit, trennten sich, erfuhren ihre eigene Wiedervereinigung und sind tatsächlich immer noch aktiv, das aber wie gehabt offenbar eher für eingeweihte Kreise im Osten der Republik.

Der Bericht deutet bestenfalls an, was hernach die Musiker von sich geben: innere Zerwürfnisse der Band, Gefühle nach dem Unfalltod eines Weggefährten, einer anscheinend zunächst zufälligen Verweigerungshaltung, die sich in schieren Trotz steigerte, Drogen und Alkohol, künstlerische Experimente, Schwierigkeiten als Künstler in der DDR, Positionierung im Musikbusiness zwischen Indie, Kultur, Punk, Ostrock und globaler Relevanz, der Notwendigkeit von verschlüsselten Texten zu DDR-Zeiten, Einflüssen, Weggefährten und mehr. Die lyrische Wucht von Texter Kai-Uwe Kohlschmidt bekommt dabei in seinem Interview-Teil am Ende ein besonderes Gewicht: Er darf wortwörtlich unter Beweis stellen, wozu er sprachlich in der Lage ist. Faszinierend, mitreißend, einnehmend und radikal sind seine oft bildgewaltigen Sentenzen.

Zwischengedruckte O-Töne von Bookern, Künstlern, Journalisten, Musikern und dem Verleger selbst mit Berichten über ihren jeweiligen Erstkontakt zu Sandow bilden sozusagen den dritten Teil des Buches. Zuletzt liefert der Autor eine Diskographie, ausgewählte Texte und ein Glossar. Der limitierten Ausgabe des Buches liegt die Hörspiel-CD „Im Feuer“ über die Historie der Band bei.

So ist dieses Buch zwar einerseits die Biografie einer kompromisslosen Rockband, da sie aber kaum jemand kennt, kann dieses Werk andererseits auch als dokumentarischer Roman über eine verkannte Band und ihren schwierigen Weg durch die DDR und später den Kapitalismus aufgefasst werden: Man hat bei der Lektüre auch dann einen Gewinn, wenn man die Band nicht kennt.

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