Von Guido Dörheide (12.01.2025)
Ringo Starr, der sympathische Lieblingsbeatle von Marge Simpson und einer der präzisesten Schlagzeuger weltweit („I am the fucking click!“), entwickelt sich anscheinend zum europäischen Pendant von Willie Nelson: Mit 84 Jahren veröffentlicht er ein wunderschönes Country-Album. Ebenso wie Nelson ist er gut bei Stimme (die 84 hört man nicht raus, was bei Nelson im selben Alter, also vor ca. 7 Jahren, ebenfalls der Fall war – mittlerweile klingt Nelson wie andere Künstler mit knapp über 70, aber wurscht, ich schweife aus. Ringo hört sich auf jeden Fall an, als läge die Beatles-Trennung weniger als 20 Jahre zurück), ebenso wie bei Nelson ist Country ein gut passendes Genre für ihn und ebenso wie Nelson schreibt er nicht alle Songs, die er singt, selbst. Das war es dann aber auch schon fast mit den Gemeinsamkeiten, zumal Nelsons Eigenkompositionsanteil auf den meisten Alben auch höher ist als bei Starr – er bringt es hier gerade mal auf ein selbstgeschriebenes Stück („Thankful“, zusammen mit Bruce Sugar). Was aber nichts macht, schließlich singt er auf allen Songs und – weit wichtiger – er spielt auch auf allen Songs das Schlagzeug. Mit 84! Als Sänger mag ich Ringo eigentlich ganz gerne (was wären die Beatles ohne „I Wanna Be Your Man“, ohne „Yellow Submarine“ und ohne „With A Little Help From My Friends“?) und mit Aufsätzen über den Stellenwert und die Perfektion seines lange Zeit unterschätzten Schlagzeugspiels wurden inzwischen schon ganze Bücherregale gefüllt.
Produziert wurde „Look Up“ von T-Bone Burnett, der, Sie ahnen es bereits, auch schon mal ein Album von Willie Nelson produziert hat („Country Music“ im Jahr 2010, und wie „Look Up“ ebenfalls in Nashville aufgenommen).
Aber nun genug des verkopften Theoretisierens – wenden wir uns der Musik zu:
Wenn ich jetzt mal Ringos erste richtig tolle Platte – „Beaucoups Of Blues“ von 1970 – auflege und den Einstieg dann mit „Look Up“ vergleiche, stelle ich zunächst mal fest, dass das 1970er Werk gleich ganz am Anfang schon mal très beaucoup de musique country et musique de l’ouest (dafür apselument rien de blues) ausstrahlt als das aktuelle Album.
Was aber auf gar keinen Fall schlecht ist: Bei „Beaucoups Of Blues“ könnte ich eventuell noch wehklagen, dass Ringos Stimme weder für Country noch für Western gemacht ist und dass ich gar nicht erst wissen will, was diese mit dem Blues veranstalten würde (trotzdem ist das Album aber Weltklasse, da gibt es nichts), aber hier, bei „Look Up“? Nicht der winzigste Anlass für Kritik, Ringos Stimme passt perfekt, ebenso wie sein Schlagzeugspiel ist sie songdienlich, lässt den übrigen Musikanten ihren Raum, sich zu entfalten, klingt an keiner Stelle wie die eines über 80jährigen Mannes und transportiert die den Songtexten innewohnenden Gefühle – meistens geht es um Liebe, ewige Liebe, endende Liebe und manchmal auch über das Hinterweinen hinter einer geendet habenden Liebe – so glaubwürdig (leuchtet ein, immerhin ist der gute Mr. Starkey seit über 40 Jahren mit derselben Partnerin zusammen), dass es eine Freude und ein Grund zur Rührung ist, dass hier ein altgedienter und verdienter Rockstar – einer der oberallerverdientesten überhaupt – so ehrlich ist, nicht behauptet, er wolle die Welt retten oder hätte dieses oder jenes besser durchblickt als alle anderen, sondern einfach über die Liebe in all ihren fröhlichen und traurigen Ausprägungen singt. Nicht umsonst ist Ringos Motto „Peace and Love“ und kein anderer Künstler posierte so oft auf seinen Albencovers nicht nur mit einem ihm gut zu Gesicht stehenden Vollbart, sondern auch mit einem minichstens von einer Hand dargestellten Peace-Zeichen.
Jetzt hätte ich doch fast vergessen, die Musik zu beschreiben, obwohl ich einige Zeilen zuvor schon fast damit angefangen hätte. Da ich danach gründlich den Faden verloren habe, nehme ich ihn jetzt nochmal auf und fange von Neuem an:
Also, ich denke, dass „Beaucoups Of Blues“ ungeachtet des Titels ein viel countrigeres Country-Album ist als „Look Up“, und auch die dem Country-Genre eigene Melancholie sehr viel mehr rüberbringt. „Look Up“ beginnt mit „Breathless“, einer Uptempo-Nummer, die mich musikalisch an die Lässigkeit eines JJ Cale erinnert, wobei Ringos Stimme aber schneidender und härter rüberkommt als die des Großmeisters der zurückgelehnten amerikanischen Gitarrenmusik. Mir kommt dieses Stück mehr nach Beat denn nach Country vor, gerade so als ob ein Engländer mit verifiziertem Beat-Background einige Americanismen in seine Musik einflicht, was dieser gut zu Gesicht steht. Der Einstieg ist Mr. Starkey damit schon mal mehr als gelungen.
Der auf den Opener folgende Titelsong „Look Up“ ist ebenfalls von Americana geprägt, stampft stoisch vor sich hin und ich liebe Ringos Stimme auf diesem Song. Zurückgelehnt mit beiden Füßen auf dem Gaspedal, und dabei eine Wärme verströmend, die ihresgleichen sucht.
„Time On My Hands“ ist dann tatsächlich der erste in meinen Augen als solcher zu bezeichnen gedurfte Country-Song auf dem Album: Zu wunderschöner Steel-Guitar besingt der Protagonist seine wahre Liebe, die eine neue Liebe gefunden hat und nun nicht mehr seine Liebe ist und nun hat er, also der Protagonist, auf einmal einen Haufen Zeit zu seiner Verfügung, mit der er nichts Rechtes anzufangen weiß. Und nun kann man über Ringos Stimme sagen, was man will (oder für immer schweigen), auf „Time On My Hands“ bringt er den dem Protagonisten innewohnenden Schmerz super prima auf den Punkt, ohne mitleidsheischendes Trallala, unspektakulär und präzise wie sein anfangs schon besungenes Schlagzeugspiel.
Das folgende „Never Let Me Go“ ist eines meiner Lieblingsstücke auf „Look Up“: Es beginnt mit einer Mundharmonika, die ich ebenfalls nicht dem Country, sondern eher der frühen Beatlesmusik zugerechnet hätte, beinhaltet eine Beatles-mäßige Melodie und ein ebensolches Schlagzeug (jahaaa, das kann eben nur einer, der damals dabei gewesen ist) und dazu Ringos Gesang – ich bin hin und weg, der Typ drängt sich nicht in den Vordergrund, eher im Gegenteil, und erzeugt damit solch eine Wirkung, dass man Marge Simpson mehr als verstehen kann. Nein, Ringo, wir lassen Dich niemals gehen, wir müssen Dich noch weiter knuddeln, als gäbe es kein Morgen.
„I Live For Your Love“ ist ein ruhiger Song, der auf einem Beatles-Album von Ringo gesungen und von George Harrison auf der Gitarre begleitet worden wäre: Ringo beteuert glaubwürdig, dass er weder im Hier und noch im Jetzt, sondern nur für die Liebe der Besungenen lebe, und dazu weint die Gitarre ganz sanft.
„Come Back“ beginnt vollkommen abgeschmackt mit klagender Hawaii-Gitarre und – Pfeifen! Klar, vor nicht mal zwei Jahren ist der große Kunstpfeifer Roger Whittaker verstorben und „Come Back To The World My Love“ ist sicher nicht ihm gewidmet, markiert aber trotzdem den geschmacklichen Tiefpunkt des Albums.
Was – meine oft zitierte Mutter möge es mir verzeihen – aber tatsächlich „schieten egal“ ist: Anschließend ertönt „Can You Hear Me Call“, ein wunderschöner, perfekt instrumentalisierter Country-Song, bei dem Ringo gesangstechnisch durch Molly Tuttle unterstützt wird, und das Resultat ist umwerfend.
Das folgende „Rosetta“ ist mit dräuend-grollenden Gitarren musikalisch überraschend, und auch hier erstaunt es mich aufs Neue, wie schön Ringos Gesang mit den Instrumenten harmoniert, ohne sich in den Vordergrund zu drängen, und wie toll die Instrumente untereinander harmonieren: Kurz vor 1:30 setz ein Gitarrensolo ein, das an Unspektakularität nur noch von Starrs Vortrag unterboten wird und das genau deshalb überzeugt.
„You Want Some“ ist vielleicht das am meisten im Country beheimatete Stück des Albums, und hier gibt es auch ein wunderschönes Klavier zu hören. Die Instrumentalisten erhalten Zeit zum Solieren und es scheint, als könne sich Richard Starkey so richtig in seinem Lehnstuhl zurücklehnen, um launige Vocals zum Besten zu geben, aber nein – er muss ja nebenbei noch die Trommeln bedienen. Und auf diesem Gebiet liefert er ab wie kaum ein Zweiter. Mit „String Theory“ – hier wieder gesanglich unterstützt von Molly Tuttle – und dem abschließenden „Thankful“ bedient Ringo wieder die Gefühlsduseligkeitssehnsucht seines Publikums in diesen von Musk, Trump, Weidel und Merz mehr als überschatteten Zeiten: Wunderwunderschöne Melodien, mehr als grandiose Musik und ein Positivität verströmender Gesang, der einem das Herz wärmt.
Nach knapp 37 Minuten ist „Look Up“ dann zu Ende und verlangt nach weiteren Rotationen auf dem Plattenteller. Die wir ihm gerne geben. Danke Ringo, mit Dir fängt das musikalische Jahr 2025 wirklich sehr wunderbar an! Thankful you are here.